Ausgehen und rumstehen Von Jan Jekal: Conor Oberst und der Kampf gegen die Technik
Sonntagabend im Columbia Theater. Auf der Bühne sitzt ein blonder Mann namens Christian. Er hat eine Akustikgitarre auf dem Schoß und da ist man erst mal skeptisch: Mann mit Gitarre geht ja häufig schief, zumal Christian der Vormusiker ist und ohne Begleitung auftritt. Er stellt sich schnell als fantastisch heraus, spielt in offener Stimmung, verbindet Rhythmus- und Melodiefiguren in lässigen Zupfbewegungen und singt mit angenehmer Tenorstimme melancholische Lieder. Bekommt er Applaus, sagt er „Thanks“, beiläufig, als hätte man ihm die Tür aufgehalten. Er erzählt von Santa Monica, wo er aufgewachsen ist und wo alles voller Möwenscheiße sei und wo das Einzige, was es zu unternehmen gäbe, auszuprobieren sei, wie extrem man sich abschießen könnte, aber das, sagt er, sei ja woanders nicht anders.
Er erzählt, dass er neulich den Fehler gemacht hat, in Norwegen mexikanisches Essen zu essen, und ich stehe im Publikum, gerade angekommen, und denke bei dem Stichwort „Fehler“ an meine Entscheidung, heute Abend Winterschuhe und Wintersocken zu tragen. Die Temperatur im Zuschauerraum bezeichnet eine Person hinter mir als „kuschelig warm“; eine zweifelhafte Wortwahl und eine zweifelhafte Einschätzung, zum Kuscheln ist es nämlich viel zu warm, und in meinen Winterschuhen ist es noch viel wärmer.
Christian dankt seinen Freunden Conor und Phoebe und da gibt es Applaus, denn er spricht von Conor Oberst und Phoebe Bridgers, die heute Abend unter dem Namen Better Oblivion Community Center auftreten. Oberst, der bessere Songs schreibt als jeder andere – mit Ausnahme vielleicht von Phoebe Bridgers –, scheint durch den Einfluss seiner jüngeren Bandkollegin die Rolle des Country-Troubadours vorerst zugunsten der des Alternative-Rockers aufgegeben zu haben. Mit mächtiger Band im Rücken rocken die beiden, die schulterlangen Haare schüttelnd; ihre ungestüme Energie hat bei dem brav herumstehenden Publikum gleichwohl keine Chance. Womöglich haben die herzzerreißenden Texte – zum Beispiel „Service Road“, Obersts Nachruf auf seinen alkoholkranken Bruder – die Leute in den Stillstand deprimiert.
Es läuft aus dem Ruder
Vor gut zwei Jahren traten Oberst und Bridgers schon einmal gemeinsam in Berlin auf, in der Apostel-Paulus-Kirche, da war sie seine Vormusikerin, gerade Anfang zwanzig, das erste Album noch gar nicht draußen. Heute sind sie Ebenbürtige, spielen Lieder des gemeinsamen Projekts und covern zudem Stücke des anderen. Oberst übernimmt den Gesang bei Bridgers’ Stück „Scott Street“, vielleicht der schönste Moment des Abends.
Danach laufen die Dinge aus dem Ruder. Oberst, eigentlich ein erfahrener Live-Musiker, kämpfte bereits den ganzen Abend mit der Technik, gleich nach dem zweiten Song war das erste Effektgerät ausgefallen. Da schien die Stimmung noch gut zu sein. Am Ende des Konzerts jedoch – ich habe mich bereits Richtung Garderobe geschlängelt und schaue mir den Schluss durch die Seitentür direkt neben der Bühne an, weshalb ich für das, was jetzt passiert, quasi einen VIP-Platz habe – schmeißt er seine Gitarre frustriert auf den Boden, tritt noch einmal nach, greift sich den Mikrofonständer, schleudert den gegen die Monitorbox, nimmt danach einen kleinen Scheinwerfer und rammt ihn mehrfach gegen den Boden, um ihn zum Brechen zu bringen. Dann schnappt er sich wieder das Mikrofon und schlägt es sich, nicht sonderlich rhythmisch, mehrfach auf die Brust, sodass ein übersteuerter Basston den Gesang von Bridgers, die derweil nämlich würdevoll weitermacht, überlagert. Dann gehen sie von der Bühne. Ein komisches Ende. Hoffentlich sind die beiden nicht zusammen, denke ich.
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