Ausbildung von Krankenschwestern: Schwester Tupfer ist nicht EU-reif
Wer Krankenschwester werden will, muss 12 Jahre zur Schule gehen, sagt eine neue EU-Richtlinie. In Deutschland reichen bisher 10 Jahre - die Bundesregierung sperrt sich.
BRÜSSEL/BERLIN taz | Die Europäische Kommission will die Ausbildung für Krankenschwestern und anderes Pflegepersonal EU-weit vereinheitlichen. Eine entsprechende Richtlinie stellte die Behörde am Montag in Brüssel vor.
Für deutsche Pflegekräfte hieße das: Sie müssten eine Schulbildung von mindestens zwölf Jahren nachweisen. In Deutschland sind bisher nur zehn notwendig. Die Bundesregierung will diese Änderung verhindern.
"In 24 Mitgliedstaaten gilt bereits die längere Schulpflicht. Wir folgen mit unserem Vorschlag lediglich dem europäischen Trend", sagte der zuständige Generaldirektor der EU-Kommission, Pierre Delsaux. Nur Deutschland, Österreich und Luxemburg kennen die kürzere Ausbildung. Und Österreich hat bereits angekündigt, sein Ausbildungssystem zu ändern.
In Belgien und Frankreich zum Beispiel gilt die Laufbahn in Pflegeberufen als akademisches Studium. Sie kann nur nach dem Abitur begonnen werden und dauert mindestens drei, manchmal sogar fünf Jahre. Diese Länder setzen sich für eine Vereinheitlichung ein, die ihre höheren Standards normalisieren würde.
Findet Deutschland keine weiteren Verbündeten, müsste sich die Bundesregierung der Mehrheit in der EU beugen. Für dieses Politikfeld gilt in Brüssel nämlich die qualifizierte Mehrheit. Nur wenn sich neben Deutschland zum Beispiel die beiden anderen großen Mitgliedsländer Frankreich und Großbritannien gegen die neue Richtlinie aussprechen würden, könnte sie gekippt werden.
Stärkerer Pflegekraftmangel
Kommen die neuen Regeln, könnten deutsche Krankenschwestern, Hebammen und Pflegekräfte nicht mehr ohne weiteres in den übrigen EU-Ländern arbeiten - allerdings weiterhin in Deutschland tätig sein. Ändert Berlin die Ausbildung im eigenen Land nicht entsprechend der europäischen Regeln, droht dem Land außerdem schlimmstenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof, hieß es am Montag aus EU-Kreisen in Brüssel.
Die Bundesregierung, unterstützt durch den Bundesrat und den Bundestag, setze sich aber "für die Beibehaltung der zehnjährigen Schulbildung als Zugangsvoraussetzung für die Krankenpflegeausbildung ein", erklärte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums der taz. Sobald der Richtlinienentwurf vorliege, werde das Gesundheits- mit dem federführenden Wirtschaftsministerium über die entsprechenden weiteren Schritte beraten.
Auch der Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Herbert Mauel, sagte, der Verband sei "vehement" gegen eine Erhöhung der Zugangsvoraussetzungen, diese würde den Pflegekraftmangel verstärken.
Bisher seien schon viele Krankenschwestern aus Deutschland im Ausland tätig, etwa in der Schweiz, in Luxemburg und den Niederlanden, berichtete Johanna Knüppel, Sprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK). Würde Deutschland bei der Novelle nicht mitziehen, würde die hiesige Pflegeausbildung einen "immensen Imageschaden" erleiden.
Eine "Aufwertung" des Berufs
Der Berufsverband unterstützt die Erhöhung der Zugangsvoraussetzungen, dies bedeute eine "Aufwertung" des Pflegeberufs. "Zwölfjährige Schulzeit" hieße zudem nicht unbedingt Abitur, auch auf einer Fachoberschule könne man diese Voraussetzungen erlangen, betonte die Sprecherin.
Knüppel berichtete, dass beispielsweise auch in Polen Krankenschwestern einen Bachelor-Abschluss hätten. Wenn diese examinierten Kräfte in deutschen Krankenhäusern arbeiteten, beklagten sie oftmals, dass sie hierzulande über viel weniger Entscheidungsspielraum verfügten. In vielen Ländern mit akademischen KrankenpflegerInnen gibt es allerdings zusätzlich kürzere Ausbildungsgänge für Helferqualifikationen.
Bis die neuen Regeln aus Brüssel tatsächlich in Kraft treten, wird es noch einige Jahre dauern. Bis Ende des kommenden Jahres möchte die Europäische Kommission einen Kompromiss mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament erreichen. Danach wird es, so Pierre Delsaux, eine Übergangsfrist geben. Wie lange die dauern wird, ist allerdings noch nicht entschieden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris