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■ Aus dem gefährlichen Leben der DienstleistendenPsychiater für die Postangestellten

Brüssel (taz) – Die belgische Post will eigens für ihren Schalter in Bressoux einen Psychotherapeuten einstellen. Der soll sich um das Personal kümmern, das es zunehmend schlechter erträgt, dauernd überfallen zu werden.

14mal in weniger als zehn Jahren, mit steigender Frequenz, wurde die Zweigstelle heimgesucht. Allein in den letzten 15 Monaten wurde sie sechsmal ausgeraubt. Wie die Angestellten versichern, war das immer derselbe Räuber. Kein Dagobert mit Comic-Phantasien, die der Wirklichkeit dann doch nicht standhalten, sondern ein geradliniger Typ, der mit Motorradhelm auf dem Kopf und Knarre in der Hand die Kasse einsackt. Nur am 20. November leistete er sich eine kleine Sentimentalität, als er pünktlich zum Jahrestag seines ersten Überfalls wieder zum Geldabholen kam.

Die belgische Tageszeitung Le Soir philosophiert nun darüber, ob man nicht eigentlich annehmen dürfe, daß man sich irgendwann auch ans Überfallenwerden gewöhnt. Das Gegenteil sei der Fall, meint dazu der Dienstälteste von Bressoux, was man schon daran sehe, daß seine Kollegen regelmäßig hinterm Schalter abtauchten, wenn nur die Tür etwas flott aufgemacht würde oder jemand mit Motorradhelm hereinkäme. Er selbst hat schon neun Überfälle auf der Passivseite und nennt sich deshalb „Rekordhalter“, ein Titel, den ihm voraussichtlich niemand streitigmachen wird, weil außer ihm nur noch Aushilfen am Schalter stehen. Die Stammbesetzung hat entweder gekündigt oder sich nach einem der Überfälle krankschreiben lassen.

Konzentrationsstörungen, nervöse Magenbeschwerden und Alpträume seien die harmlosesten Folgeerscheinungen, konstatiert die inzwischen zur Fachkraft gereifte Assistentin von der zuständigen Gesundheitsbehörde, bei manchen setze eine regelrechte Zersetzung der Persönlichkeit ein. Am schlimmsten trage dazu das Erlebnis der Ohnmacht bei, bestätigt der Rekordhalter, ein Erlebnis, das besonders traumatisch werde, wenn der Täter auch noch eine wenig imposante Erscheinung sei, wie das seit 15 Monaten zutreffe. Der einzige, der sich an die Überfälle gewöhnt, scheint der Täter zu sein, der seine anfängliche Nervosität weitgehend abgelegt hat. Beim letzten Mal war er bereits in der Lage, sich zu entschuldigen, wenn er jemand anrempelte.

Aus Angst, nach Bressoux versetzt zu werden, sollen sich in der Region Lüttich inzwischen mehr als hundert schaltererfahrene Postangestellte krankgemeldet haben. Die Postverwaltung bemüht sich nun, ein neues Büro mit zuverlässigerer Sicherheitstechnik einzurichten. Bis dahin wird sich die örtliche Polizei noch ein- oder zweimal den Vorwurf gefallenlassen müssen, auf den 800 Metern vom Polizeiposten zur Postdienststelle ein bißchen viel Zeit zu verlieren. Anfangs soll es nach dem Alarm noch bis zu einer Viertelstunde gedauert haben, bis die Minna eintraf. Das hat sich gebessert, sagen die Anwohner, was damit zu tun haben könnte, daß die frühere Erklärung der Polizei, man wolle kein Blutbad provozieren, in der Bevölkerung nicht überzeugte.

So gut belegt in Bressoux inzwischen die Erkenntnisse über den Gemütszustand überfallener Postangestellter sind, so wenig weiß man über die betroffene Kundschaft. Die psychologische Betreuung gilt nur für Betriebsangehörige. Für die Nachbetreuung von Passanten und gelegentlich auch Geiseln, die sich zu einem der Tatzeitpunkte zufällig im Schalterraum aufhielten, fühlt sich die belgische Post nicht zuständig. Das sei auch nicht möglich, heißt es dazu am Schalter in Bressoux, weil diese Leute in der Regel kein zweites Mal kämen. Alois Berger

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