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Aus dem Leben eines Mögenichts

Gesellenstück aus der „Tempo“-Literaturwerkstatt: Christian Krachts Debütroman „Faserland“, eine ungnädige Reise durch Deutschland  ■ Von Thomas Groß

Der erste Nazi kreuzt auf Seite 22 auf. Eigentlich ist es bloß ein harmloser, Cordhütchen tragender Rentner im auberginefarbenen Blouson, aber von da an werden es immer mehr. In Scharen brechen sie herein: furzende Taxifahrer, Betriebsräte in senfgelben Jacketts, Touristen auf dem Weg nach Phuket, blöde Normalmänner mit „Mösenbärten“, Nichtraucher, die im blöden Nichtraucherabteil von sowieso blöden Lufthansaflugzeugen auf ihr beschissenes Nichtraucherrecht pochen – alles Faschisten. Wo sind wir? In einem Film über die achtziger Jahre?

Damals, als die größte anzunehmende Bedrohung für aufbegehrende Jungmenschen noch von der Cordhose des Sozialkundelehrers ausging, war es ja eine Zeitlang Mode, der großen Koalition der Verständigung die noch größere, apodiktische Geste entgegenzusetzen, den schönen Kraftakt, der die Welt der austauschbaren Meinung aufkündigt. Schmidt, Brandt, Vollmer, Birkenstock, Horst Eberhard Richter – alles derselbe Dreck. So war das damals. We don't need no education.

Deutschland, eine Heimsuchung

Das hier spielt allerdings in den Neunzigern. Das eigenartige Faschisten-Fixieren ist eines der Lieblingsspiele in Christian Krachts Debütroman „Faserland“, einer sentimental journey durch die deutsche Republik von Nord nach Süd, von Fisch-Goschs Delikatessenbude auf Sylt bis hinab an den Bodensee, und von da an noch weiter, bis tief in die Schweiz hinein, wo die arme Seele an Thomas Manns Grab auf einem Züricher Friedhof immer noch keine Ruhe findet. Das „Faserland“: eine Heimsuchung. Der Krabben-cocktail schmeckt nicht, der Champagner wird ruckzuck schal, das hübsche Mädchen mit dem S-Klasse- Mercedes redet dummes Zeug, und auch sonst entpuppen sich die letzten noch verbleibenden Freunde über kurz oder lang als Drogenspießer, Langhaarärsche oder Selbstmordkandidaten. Dazwischen Partys, Partys, Partys, auf denen Krachts Held sich ein ums andere Mal maßlos betrinkt und wie aus Versehen Hotelzimmer vollkotzt – bloß „echte“ Nazis kommen nicht vor.

„Faschismus“ ist für den namenlosen Ich-Erzähler eben nicht politisches Faktum, sondern ästhetischer Zustand, seine Reaktion darauf nicht Engagement, sondern Abscheu. Krachts Held ist ein Dandy, und mit Moral ist diesem Roman um so weniger beizukommen, als ihm tatsächlich ein reich differenziertes Sensorium für die feinen Unterschiede des Alltags zugrunde liegt. Der Held trägt Brooks-Brothers-, niemals Ralph- Lauren-Hemden, weil „Ralph Lauren viel teurer ist, viel schlechter in der Verarbeitung, im Grunde Scheiße aussieht und man dann noch meistens so ein blödes Polo- Emblem auf der linken Brust vor sich herum tragen muß“. Der Dandy-Junge kennt die Codes, er ist ein superaufgeklärter Bescheidwisser, nur kann er mit diesem Wissen nichts mehr anfangen, als es in die eigene haltlose Subjektivität zu reinvestieren. Und das heißt, auf immer feineren Wegen festzustellen, „wie unfaßbar verkommen alles ist“.

Die Wut, die Krachts kleinem Roman schon vor der Veröffentlichung entgegenschlug, die Weigerung einiger Vertreter, das Buch bei den Händlern zu vermarkten, hat viel mit dieser gut kultivierten Asozialität zu tun: Wenn der 28jährige Sohn des ehemaligen Generalbevollmächtigten von Axel Springer ein Buch schreibt, ist ein bißchen Provokation Programm. Hinzu kommt, daß der (Kracht sehr ähnliche) faule, aber reichlich mit Geld versorgte Schnösel, aus dessen Blickwinkel alles erzählt wird, jede Links-Codierung seines Stilinventars aufgekündigt hat; wer in den achtziger Jahren an die schöne Idee einer romantischen Subversion der Verhältnisse im Geiste des New- Wave-Dandyismus geglaubt hat, sieht sich hier gezwungen, dem späten Zerrbild seiner eigenen Jugend ins Auge zu sehen. Mehr noch: Ein „eigentlich“ veralteter Typus, ein popperhafter Wet-Gel- User und Barbourjackenträger, behauptet sich als Modell der Stunde, indem er noch die wackeren Versuche problembewußter junger Leute von heute, das Soziale wiederzuentdecken, die Verdammten dieser Erde zu verstehen und Hiphop als Musik der Stunde zu theoretisieren („die echte Auflehnung und so weiter“, heißt das verächtlich bei Kracht), als Sinnsuche von Spießern denunziert.

Dabei ist der Dandy, politisch immer ein höchst unsicherer Kandidat, in „Faserland“ nur wieder bei sich selbst angekommen: bei einer durch und durch ästhetischen Betrachtung der Welt, die jeden „Inhalt“ dem eigenen Geschmack, dem Flottieren seiner Phantasien unterwirft. „Ich muß grinsen“, gesteht der Ich-Erzähler – der Zug, in dem er sitzt, fährt gerade unter einer Brücke durch –, „weil genau diese Brücke bei Selbstmördern so beliebt ist, jedenfalls springen die immer da runter, genau wie bei der Brücke in Kassel, fallen den Leuten auf die Häuser oder purzeln mitten ins schönste Grillfest. Die Körper sind dann immer ganz zerquetscht, die müssen sie mit einer Schaufel zusammenkratzen.“ – Schwarzer Humor à la André Breton? Mit solchen Passagen, in denen die Phantasie eine Wahrnehmung (oft aggressiv) aushalluziniert, ist der gesamte Roman durchsetzt. Der Held stellt sich vor, wie Hamburg im Feuersturm ausgesehen haben mag, „wie das wohl war, als alles ausgelöscht wurde“; oder er wünscht beim Landeanflug auf Frankfurt kurzerhand den Geschäftsleuten an Bord „mitsamt ihren Swatch-Understatement-Uhren, die sie auf dem Rückflug von Pattaya im Dutyfree in Bangkok gekauft haben, den Tod“.

Das ist natürlich delikat bis hin zur Frivolität. Kracht spekuliert – qu'importent les victimes si le geste est beau – tüchtig darauf, daß die anarchoide Pointe die Lust des Lesers schon auf seine Seite ziehen wird. Und das könnte sie vielleicht auch, wäre „Faserland“ im Ernst der Roman eines spätjugendlichen Nihilisten – und nicht nur ein ängstlich auf Wirkung bedachtes Gesellenstück aus der Tempo-Literaturwerkstatt.

Kracht, der bei Tempo Redakteur ist, kann schreiben, das ist es nicht – oder das ist es gerade: Geschickt versteht er es, den Tonfall seiner Vorbilder – Brett Easton Ellis, J. D. Salinger, ein wenig auch Eichendorff – in seinen dem Briefroman entlehnten, leicht waidwunden Plauderstil einzuweben. Doch je perfekter ihm das gelingt, desto größer wird auch der Verdacht, hier ginge es am Ende weniger um abgründige Szenen aus dem Leben eines Taugenichts als um eine Art sekundären Entwicklungsroman: die (Selbst-)Ermächtigung des Tempo-Schreibers Kracht zum waschechten Romancier.

Als solcher schreckt er, wo die Dramaturgie es nahelegt, auch nicht vor kitschigen Mainstream- Arrangements zurück. Etwa wenn Rollo, der reiche Junge aus Meersburg, der keine Freunde hat, nur einen alten Porsche, sich nach einem letzten Abend der Trunkenheit das Leben nimmt – und die Gemeinde schaudernd begreift, daß Geld nicht glücklich macht, daß das eben auch nur eine ganz schön arme Sau war, dieser Millionärssohn vom Bodensee; oder wenn Kracht von Isabella Rosselini schwärmt, mit der es so schön wäre, auf der Alm zu leben und Kinder zu haben.

Zeitgeist-Gespenster unter sich

In solchen Momenten begreift man, warum der Ex-Zeitgeistschreiber und Trendforscher Matthias Horx, der im Roman einen kleinen Auftritt hat, „so eine ganz große Negativ-Faszination“ auf den Helden ausübt: Horx, dieses Zeitgeist-Gespenst, ist das, was ein aggressiver Literaturstreber am meisten abwehren muß – einfach deswegen, weil er selbst nur die Dramaturgie des Tempo-Features mit etwas Bildung aufmotzt.

Besonders klar kommt das raus, wenn Kracht zum Schluß seinen Helden ins Wasser gehen läßt. Er setzt sich ins Boot zu einem gedungenen Rudersmann, und der legt los: „Bald sind wir in der Mitte des Sees. Schon bald.“

Warte nur, balde ... – das ist symbolisch! Kracht hat seinen Goethe gelesen und bringt ihn hier mühelos mit dem Fährmann Charon und diversen Selbstauslöschern der Literaturgeschichte zusammen zum großen Creative-writing-Mix.

Ganz traurig wird es, wenn der Held auch noch an „Deutschland“ leidet, wenn seine Sehnsucht nach den einfachen Dingen, nach den mit Isabella Rosselini gezeugten Kindern den Roman von seinem Ende her lizensiert: „Von den Deutschen würde ich erzählen, von den Nationalsozialisten mit ihren sauber ausrasierten Nacken, von den Raketen-Konstrukteuren, die Füllfederhalter in der Brusttasche ihrer weißen Kittel stecken haben, fein aufgereiht. Ich würde erzählen von den Selektierern an der Rampe, von den Geschäftsleuten mit ihren schlechtsitzenden Anzügen, von den Gewerkschaftern, die immer SPD wählen, als ob wirklich etwas davon abhinge, und von den Autonomen, mit ihren Volxküchen und ihrer Abneigung gegen Trinkgeld.“

O Deutschland, bleiche Mutter! O „Faserland“! Es gibt eben doch kein Schreiben nach Tempo.

Christian Kracht: „Faserland“. Roman. Kiepenheuer & Witsch, 166 Seiten, geb., 29,80 DM

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