Aufstand im Irak: Die Revolte ergreift den kurdischen Norden
■ Erst Basra, dann weitere Städte im Süden — und jetzt auch die Kurden im Norden des Iraks: Der Aufstand gegen den Despoten von Bagdad wird zum Bürgerkrieg. In Basra hat Saddam Hussein allerdings bereits wieder die Oberhand. Der Diktator ersetzte unterdessen den Innenminister durch einen Vertrauten aus seinem Familienclan.
Die aufstandsähnlichen Proteste gegen Saddam Hussein verlagern sich offenbar vom schiitischen Süden des Landes in den kurdischen Norden. Damit ist das irakische Regime nach der verheerenden Niederlage im Golfkrieg gleich in zwei Regionen mit bewaffneten Protestbewegungen konfrontiert. In der Vergangenheit haben die Truppen Saddam Husseins derartige Erhebungen in Kurdistan mit beispielloser Brutalität niedergeschlagen und wiederholt chemische Waffen gegen die Bevölkerung eingesetzt. Nun sieht es so aus, als griffe die Führung in Bagdad auch im Süden des Landes zu den alten Mitteln militärischer Repression. Die US-amerikanische Armee gab am Montag vorsichtshalber eine Giftgaswarnung an ihre Truppen in der „Pufferzone“ im Südirak heraus.
Soweit die unübersichtliche Nachrichtenlage ein Bild zuläßt, scheinen die Truppen Saddam Husseins mittlerweile wieder den größten Teil Basras in ihrer Hand zu haben. Wie viele Menschen bei den Kämpfen getötet oder gefangengenommen wurden, ist nicht bekannt. Nach US-amerikanischen Angaben begannen die Kämpfe offenbar, nachdem Angehörige der Elitetruppe der Republikanischen Garden das Feuer auf Demonstranten eröffneten. Daraufhin hätten empörte Soldaten Waffen verteilt und sich den Protestierenden angeschlossen. Die Gardisten und ihre Gegner hätten sich heftige Kämpfe mit Maschinengewehren und Raketen geliefert. Eine Einheit der Republikanergarden bewege sich nun auf die Stadt Kerbala zu, hieß es gestern.
Berichte von Flüchtlingen aus Basra, die in den letzten zwei Tagen in Jordanien eintrafen, bestätigen die Meldungen von einem Gegenangriff der Regimetruppen. Anhänger fundamentalistischer Gruppen hätten zwar die wichtigsten Gebäude in Basra besetzt, stünden jedoch bereits seit zwei Tagen unter starkem Druck der Gardisten, so ein Augenzeuge. Außerdem verfügten sie nur über leichte Waffen und nicht genügend Munition. Ein jordanischer Fotograf sagte, vor seiner Abreise habe das Militär bereits die Stadt umzingelt, loyale Panzereinheiten seien durch die Straßen patrouilliert. Ein irakischer Ingenieur erklärte gegenüber der Zeitung 'Al Rai‘, die Stadt Zubair würde seit der Nacht zum Dienstag von den Republikanergarden belagert. Er selbst sei in der Nacht geflohen; dabei seien Kämpfe zwischen Aufständischen und Gardisten im Gange gewesen.
Offiziellen irakischen Angaben zufolge ist die Situation in Basra wieder „unter Kontrolle“. Der irakische UN-Botschafter Al Anbari sagte gestern, zur Zeit kontrollierte eine Art Militärverwaltung die Stadt. Er hoffe, daß es so möglich sei, die 25 vermißten ausländischen Journalisten zu finden und in den nächsten Tagen ihre Ausreise zu ermöglichen.
Während das Regime in Bagdad selbst Normalität demonstriert (siehe Korrespondentenbericht S. 7), gab es offenbar ein erstes politisches Opfer der Aufstände: Innenminister Samir Mohammad Abdul Wahab wurde zum Sündenbock erkoren und verlor sein Amt. Sein Nachfolger ist Ali Hassan Al Madjed. Der Cousin des Diktators war bisher Gouverneur von Kuwait und gilt als Verantwortlicher für die blutige Niederschlagung früherer Kurdenaufstände.
Während aus dem Iran auch gestern wieder Erfolgsmeldungen kamen, verlagern sich die Protestbewegungen gegen Saddam Hussein parallel zum Vorrücken der Repubikanergarden in den Norden, wo rund vier Millionen Kurden leben. Nach Angaben der Kurdischen Front des Iraks, in der acht Organisationen zusammengeschlossen sind, wurde der Ort Duvaniyah von kurdischen Kämpfern, den Peschmergas, erobert. Der Aufstand in Irbil, der „Hauptstadt des autonomen Kurdistans“, gehe weiter. Außerdem gebe es Kämpfe in der Umgebung der Stadt Suleimaniyah. In Damaskus sprach der Chef der Patriotischen Union Kurdistans, Jalal Talabani, von der Eroberung von fünf Städten. Der Untergrundsender „Stimme des kurdischen Volkes“ sendet ständig Aufrufe zum Aufstand gegen Saddam Hussein.
Eine Absprache zwischen kurdischen und schiitischen Organisationen hat es dabei nach Angaben von Bachtiar Amin, dem Generalsekretär des Kurdeninstituts in Paris, nicht gegeben. Jede Seite habe von sich aus mit den Kämpfen begonnen. In der Vergangenheit seien immer die Kurden die ersten gewesen, die sich gegen Saddam Hussein erhoben hätten. Die Organisationen in den anderen Regionen hätten sie dabei aber „leider“ nicht unterstützt. „Die Kurden sind vorsichtiger geworden“, meinte Amin gegenüber der taz und verwies auf die Giftgaseinsätze in den vergangenen Jahren.
Amin verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, der Aufstand werde schließlich auch Bagdad erreichen und Saddam Hussein stürzen. Nun sei es an der Zeit, eine demokratische Regierung in Bagdad zu etablieren und das erste Mal in der Geschichte des Landes freie Wahlen durchzuführen. Man könne auch mit den schiitischen Organisationen zusammenarbeiten, „wenn sie bereit sind, demokratische Regeln zu akzeptieren“. Man wolle weder einen von außen oktroyierten sunnitischen Diktator — dies war offenbar an die Adresse Saudi-Arabiens gerichtet — noch ein diktatorisches Modell Iran, mit dem die Kurden bereits „bittere Erfahrungen“ gemacht hätten, sagte Amin. Am 10. März werde jetzt in Beirut der Dialog aller Oppositionsgruppen des Iraks fortgesetzt.
Der Vorsitzende des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak, Mohammad Bakr-al-Hakim, äußerte sich gestern positiv über die Beziehungen zu den Kurden. Seine Bewegung unterhalte „ausgezeichnete politische Beziehungen“ zu allen kurdischen Parteien, seien diese islamisch oder laizistisch ausgerichtet, sagte al-Hakim. Vor dem Hintergrund des drohenden Golfkrieges hatten sich gerade die kurdischen Organisationen dafür eingesetzt, daß die fundamentalistischen Gruppen ihre Vorbehalte gegenüber nicht-islamischen und nicht-arabischen Bewegungen hintanstellen. Beate Seel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen