Aufgetauchte Notizen von Fritz Teufel: Bomben gegen Hubert Humphrey
Wiederaufgetauchte Protokolle der Kommune 1 zeigen abgründigen Humor und kunstvolle Kritzeleien des Fritz Teufel, dessen Todestag sich Dienstag zum ersten Mal jährt.
Wie öde wäre das Leben, wenn nicht ab und zu überraschend ein neues, manchmal brisantes Zeitdokument wieder auftauchen würde, das uns die Vergangenheit in neuem Licht erscheinen lässt. Material, etwa gefunden in Omas Vertiko oder auf Pariser Dachböden, von dem niemand ahnte, dass es existiert oder wo es sich befinden könnte.
Vor nicht allzu langer Zeit durfte sich das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) über einen interessanten Neuzugang freuen. Das Institut ist eine Stiftung von Jan Philipp Reemtsma, Mäzen und Sohn des Tabakbarons Reemtsma. Im HIS-Archiv befinden sich bereits der Nachlass von Studentenführer Rudi Dutschke sowie Unterlagen zum Gerichtsprozess gegen den Polizisten Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss.
Planung von Störaktionen
Ganz klar, dass sich in einer solchen Umgebung auch die wiederaufgetauchten Papiere, Protokolle von Sitzungen der Kommune 1, wohl fühlen. Aufgeschrieben hat sie Fritz Teufel, dessen Todestag sich morgen zum ersten Mal jährt. Seine Aufzeichnungen hat er mit wilden, psychedelischen Kritzeleien und zuweilen bösen Skizzen garniert.
Besondere Aufmerksamkeit gilt einem unscheinbaren, gelblich-ausgeblichenen DIN-A5-Papierschnellhefter mit Protokollen vom 16. 3. bis 16. 4. 1967. Die Aufzeichnungen beginnen also etwa vier Wochen nach dem Einzug der Kommune 1 in die Atelierwohnung des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger beziehungsweise in die Wohnung seines Kollegen Uwe Johnson, der sich zu der Zeit in New York aufhielt. Politisch befassten sich die Kommunarden mit der Planung von Störaktionen zum Besuch von US-Vizepräsident Hubert Humphrey sowie zum Besuch des Schahs in Berlin.
Die Einträge zeigen, dass die täglichen Sitzungen (manchmal zweimal am Tag) einem immer gleichen Muster folgten. Die einzelnen Tagesordnungspunkte versah Teufel mir römischen Ziffern. Er protokollierte das Geschehen mit ironischer Distanz, oft akribisch, manchmal in einer fast beamtenhaft anmutenden Sprache. Besonders witzig erscheinen aus heutiger Sicht seine trockenen Bemerkungen über Banalitäten, Fehlschläge im Alltag der Kommune und Befindlichkeiten ("V. fühlt sich stark").
Ein Beispiel (willkürlich zusammengestellt):
16. III. 1967
I Wohnungen
nichts Neues
II Broschüren
D. hat Schwierigkeiten
R. vergaß 4 Seiten
Mao-Broschüre weg
III Ökonomie
V. braucht Schuhe
IV Außenkontakte
V. hat H. vor Gericht getroffen, will in den nächsten Tagen kommen D. war bei R. A. und J. waren auch da, nichts Neues
V Interessen
U. ist jetzt endlich in der Lage mit D. zu streiten
D. war noch nie so unterdrückt wie in der Kommune
Hackordnung/ Lethargie
Fast entsteht der Eindruck, Teufel habe den Job des Protokollanten übernommen, damit kein anderer etwas Gehässiges über ihn schreiben könne. Seine eigenen Wortbeiträge kommen fast nicht vor, obwohl kaum davon ausgegangen werden kann, dass er sich aus den Gesprächen heraushielt.
"Wirre Diskussionen", schreibt er, wenn es zur Sache geht, und malt daneben ein noch viel wirreres Ornament und protokolliert den Eindruck einer Kommunardin: "D. glaubt, sie ist unter lauter Verrückten". Auch verbalisiert er seine eigene Langeweile: "Eine Diskussion über Moses Hess würde ich für bedeutend interessanter halten."
Vor allem Teufels Kritzeleien, teils großformatig über eine ganze Seite, wilde Kringel, psychedelische Muster, wie von einer Patchwork-Decke, manchmal Konkretes wie vielleicht ein Sarg, eine Kirche, ein Kleeblatt, ein Wildschwein, ein Gesicht wie in Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei", lassen erahnen, wie quälend diese Sitzungen zuweilen gewesen sein müssen.
bleibtmirnixandersüberalsmundzuhalten
Sie zeigen aber auch Teufels Sinn für absurde Situationen und wie hochkreativ und produktiv er sein konnte. Manche Sätze und Wörter sehen aus wie kleine Kunstwerke. Etwa wenn er "Langhans" schreibt und jeden einzelnen Buchstaben grafisch aufmotzt. Oder er notiert die Beschwerde einer Kommunardin in einem Wort ("bleibtmirnixandersüberalsmundzuhalten") und lässt vermuten, dass er ihren beleidigten Einwurf nicht ganz ernst nimmt.
Drei Probleme kehren in den frühen Monaten der K 1 immer wieder: Zum einen beschäftigt sie die zermürbende Suche nach einer geeigneten Wohnung, denn in den Wohnungen der befreundeten Schriftsteller können sie nicht bleiben. Zum anderen machen ihnen Geldnöte zu schaffen: "Sparbuch über DM 5000,- hat D. von M. - läuft über ein halbes Jahr, könnte mit Verlust früher gekündigt werden." Oder: "V. hat sich mit einem Lottogewinn aus der Affäre gezogen."
Drittes großes Thema sind natürlich Beziehungsprobleme - sowohl mit den Eltern ("H.: Ihre Erwartung, dass aus mir was wird bedeutet einen ziemlichen Druck? Ganze Misere des Studiums ihr ((der Mutter)) immer verborgen") als auch Probleme intimster Natur miteinander. Sätze in den Protokollen wie "D.s Orgasmus erfordert totale Konzentration", "Innerhalb der Kommune besteht nicht das geringste Intimverhältnis" oder "H. will sich endgültig und mit dem Vorsatz nie wieder anzufangen von D. trennen. Nur so wird Kommunikation mit ihr für ihn wieder möglich" dokumentieren aber auch, wie unglaublich jung die Kommunarden damals noch waren: in starken spätadoleszenten Gefühlen verstrickt, im Bann der galoppierenden Hormone stecken geblieben.
Doch ihre Themen gleichen durchaus derer späterer Generationen junger Leute, die in instabilen Beziehungen lebten und sich finanziell und emotional noch nicht von ihren Eltern abnabeln konnten. Nur ist es unfreiwillig komisch, wie Teufel diese subjektiv empfundenen Tragödien respektlos auf nüchterne Schlagworte reduziert.
"Pudding-Attentat" auf US-Vize Humphrey
Die Protokolle ermöglichen, die Entwicklung von geplanten Aktionen mit dem heutigen Wissen darum, was aus den Plänen wurde, nachzulesen. Beispielsweise interessant ist das Thema "Pudding-Attentat" auf US-Vize Humphrey, den sie bei seinem Besuch in Berlin mit Pudding in Einkaufstüten bewerfen wollten. Dazu sollte es allerdings nicht kommen. Der Plan flog auf und am 5. 4.1967 nahm die Polizei elf Leute, darunter Fritz Teufel, fest.
Zuvor findet sich in Teufels Protokoll am 21. 3. 1967 ein Rezept für eine Rauchbombe. Eine Idee, die später als zu gefährlich eingestuft wurde. Sie denken über Alternativen nach. "Ist Schlagsahne besser als Pudding? Wie wäre es mit Plaka-Farbe? Experimentierkommando."
Weitere Vorschläge für Wurfgeschosse sind "Mehl, Eier, Mohrenköpfe, Dynamit". Lakonisch notiert Teufel die Frage eines Kommunarden: "Kann ich nach den Aktionen noch studieren? Plong hui dum zing räbah bang".
Einen Tag vor seiner Festnahme schreibt Teufel im Protokoll: "und immer noch tagt die erste Berliner Scheißkommune". Danach pausieren die Aufzeichnungen für etwa eine Woche. Wieder auf freiem Fuß bleibt die Schlappe in dem vorliegenden Dokument allerdings unerwähnt. Die nächste Aktion steht an. Der Schah-Besuch am 2. 6. 1967. Offenbar in Mörderlaune schreibt Teufel: "Spezialwunsch für Aktionen: Wenn der Schah kommt möchte ich ihn am liebsten umbringen."
Kommune 1 auf Facebook
Die Protokolle lesen sich wie ein Fortsetzungsroman und könnten, sollten sie in die Hände eines Drehbuchautors fallen, als Anregung für ein spannendes Filmskript dienen. Viel Stoff für ein dramatisches Kammerspiel. Mit jeder Seite werden die Protagonisten plastischer, die Entwicklungen mitreißender.
Aus heutiger Sicht wirken die handschriftlichen Protokolle Teufels herrlich altmodisch. Zuweilen ist seine Schrift unleserlich und die damit verbundenen Informationen vielleicht auf immer verloren. Heute hätte die Kommune 1 sicher eine eigene Facebook-Seite und würde vielleicht selbst ihre intimsten Geheimnisse twittern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!