: Aufgegriffen
In der letzten Ausgabe hatte Kontext berichtet, dass der Stuttgarter Bahnhofsturm einsturzgefährdet ist, wenn Grundwasser für S 21abgepumpt wird. Nun hat Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) die Bahn aufgefordert, Klarheit über mögliche Gefahren zu schaffen. Neues gibt es auch zum LBBW-Immobiliendeal, den Kontext intensiv beleuchtete
von Jürgen Lessat und Hermann G. Abmayr
Pisa am Nesenbach“ hatten wir in der letzten Woche einen Bericht überschrieben, der einem weiteren ungeklärten Problem von Stuttgart 21 auf den Grund ging: auf was eigentlich der Stuttgarter Bahnhofsturm steht. Wir ließen darin einen Zeitzeugen zu Wort kommen, der bestätigt, dass es 290 Eichenpfähle sind. Dies bringt die Bahn, die seit der Schlichtung im Herbst 2010 von Eisenbeton als Turmgründung spricht, in Zugzwang. Sie muss der Öffentlichkeit nachweisen, dass beim Abpumpen von Grundwasser während des Tiefbahnhofbaus der Turm nicht auf dem Trockenen steht. Sonst würde die deutsche Eiche im Untergrund faulen – mit fatalen Folgen: Das Wahrzeichen der Landeshauptstadt würde allmählich in bedrohliche Schieflage geraten. Gewissheit über das vor hundert Jahren verbaute Pfahlmaterial könnte eine Sondierungsbohrung bringen. „Das brauchen wir nicht“, meinte S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich trotzig, nachdem örtliche Tageszeitungen die Kontext-Berichterstattung aufgegriffen hatten.
Inzwischen kann Kontext zudem belegen, dass die Bahn mal dies, mal das behauptet in Sachen Turmgründung. So informierte das Unternehmen noch im Jahr 2009 auf der S-21-Projekt-Homepage über die Eichenpfahlgründung des Turms. Dies lässt sich durch einen internetbasierten Archivdienst beweisen. Wer heute die Geschichte des Bahnhofsturms auf den offiziellen Seiten aufruft, findet den entsprechenden Hinweis nicht mehr – er ist gelöscht. Kontext hat beide Versionen nebeneinandergestellt (www.kontextwochenzeitung.de/pulsschlag/125/aufgegriffen-1678.html).
Anfang der Woche meldete sich schließlich Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zu Wort. Das Stadtoberhaupt will von Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer wissen, welche Vorsichtsmaßnahmen die Bauherrin von S 21 treffe, um die Standfestigkeit des Bahnhofsturms zu gewährleisten und zu überwachen. Auskunft begehrt Kuhn auch darüber, wie die Bahn etwaigen Senkungen des Turms während der Bauarbeiten zu begegnen gedenke. „Es ist auch im Interesse der Bahn, wenn die Frage, ob der Turm auf Eichenpfählen oder auf Eisenbetonpfählen gegründet ist, abschließend beantwortet ist und nicht wie ein Damoklesschwert über den Bauarbeiten schwebt“, so Kuhn. Bis Redaktionsschluss war noch keine Antwort der Bahn eingegangen.
Mit sechs Beiträgen hat Kontext vor einigen Monaten versucht, Licht ins Dunkel des 1,4-Milliarden-Deals der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) mit dem Augsburger Immobilieninvestor Patrizia zu bringen. Jetzt stellt sich heraus, dass die Landesvertreter im LBBW-Aufsichtsrat, Nils Schmid (SPD) und Klaus-Peter Murawski (Grüne), beim Verkauf der 21.500 Wohnungen mit falschen Karten gespielt haben. Schmid ist stellvertretender Ministerpräsident sowie Finanz- und Wirtschaftsminister, Murawski Chef der Staatskanzlei. Beide hatten ihr damaliges Votum bei der Bieterauswahl damit begründet, dass sie wegen EU-Auflagen für das höchste Gebot hätten stimmen müssen. Und das habe Patrizia abgegeben.
Dem widerspricht jetzt auf Anfrage des Südwestrundfunks (SWR) ein Sprecher von EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia. Für den Verkauf der LBBW-Wohnungen sei nicht notwendigerweise das höchste Gebot zu berücksichtigen gewesen. Die LBBW habe selbst entscheiden können, welches Angebot ihr am wirtschaftlichsten erscheint.
Schmid und Murawski hatten Glück. Im Gegensatz zu Freiburg, Heidelberg und Heidenheim, in denen es Bürgerentscheide gegen Verkaufspläne von Wohnungen gab, regte sich in der „Protesthauptstadt“ Stuttgart kein Widerstand. Murawski, sagt ein Mitarbeiter der Grünen, habe sich schon mehrmals „wie ein wirtschaftsliberales U-Boot“ verhalten. Zum Beispiel, als er sich in Stuttgart erfolgreich für Cross-Border-Leasing-Projekte starkgemacht hatte. Damals war der Grüne noch Bürgermeister unter dem CDU-Stadtoberhaupt Wolfgang Schuster. Seine politische Karriere hatte Murawski als junger Mann bei der FDP begonnen.
Pikanterweise wirbt Schmids SPD derzeit im Bundestagswahlkampf mit Plakaten, auf denen als Slogan „Wohnen darf kein Luxus sein“ prangt.