Auf der Suche nach der verpulverten Zeit

Vier Espressi, vier Cappuccini, vier Eigenkreationen – das alles in 15 Minuten. Bei den Regionalmeisterschaften der Baristi mussten die Wettkämpfer routiniert Hand an die Kaffeemaschine legen. Stefanie de Nicolo verzichtete auf Ingwer und Pfeffer. Jetzt darf sie zu den Deutschen Meisterschaften

„Die Kaffee-Kreationen sollten keine Cocktails sein“

von ANNE HAEMING

Auf dem Boden ein kariertes Geschirrtuch, darauf ausgebreitet grüne Pflanzen. Stefanie Hoffmann und ihr Kollege Yaw Essah vom Café Einstein sortieren Minzblätter, über ihren Köpfen schwebt eine feine Dampfwolke. Sie beugt sich zu ihrem Partner. „Zu jedem Espresso ein Amarettini, was meinst du?“, murmelt sie halblaut. Die beiden hocken in einem Meer aus Porzellantassen und arbeiten konzentriert.

Sie bereiten sich auf die Regionalmeisterschaft der Baristi vor. Ein Barista, das ist schlimmstenfalls der Typ hinter der Theke, der etwas Kaffeeähnliches kocht. Bestenfalls sind Baristi Espressobereiter aus Passion. Laien lassen sie nicht in die Nähe ihrer blitzenden Maschinen. Denn die Abstimmung von Mahlstärke und Röstung, Wassermenge und Temperatur ist eine Wissenschaft für sich. In Italien ist die Arbeit hinter der Theke zwar eine echte Männerdomäne, hierzulande ist das aber kein Thema: Die Hälfte der Wettkocher ist weiblich.

Auf die besten drei warten auf der Fensterbank je eine Espressomaschine und eine kubistische Plexiglastrophäe. Und natürlich eine Reise nach Wiesbaden zum deutschen Finale Anfang Februar. Die Chancen auf einen Medaillenplatz sind gestiegen, weil nur acht der elf Angemeldeten im Kreuzberger Jugendzentrum erschienen sind. „Der Cocktailshaker ist doch nicht aufgetaucht“, lacht Jutta Krebs, eine der beiden Regionalleiterinnen, dass die silbernen Kaffeebohnen an ihrer Kette wackeln. „Der hatte wohl nur ‚Bar‘ gelesen und sich angemeldet.“

Ob drei Rivalen mehr oder weniger – an Essahs Nervosität ändert das nichts. Er muss als Erster an die Dampfmaschine. „Ich habe gestern den ganzen Tag geübt“, stöhnt er leise. „Das Dumme ist: Mit dieser Kaffeemaschine kenne ich mich überhaupt nicht aus.“ Ohne ihr eigenes Gerät sind Baristi verloren. Zur Melodei aus Löffelklingeln und Maschinenrattern verteilen die Kandidaten Zuckerpäckchen auf Unterteller, stapeln Tassen, organisieren die Zutaten. Zwischen den Geschirrbergen lagern Kokosraspel, Honig und eine Schale Januar-Johannisbeeren.

Für die Kür ist den Berliner Baristi das Beste gerade gut genug. Aber die Eigenkreation ist nur eine von drei Disziplinen. Zum Pflichtprogramm gehört: vier Espressi extrahieren, dann vier Cappuccini, für jedes Jurymitglied eine Portion, dann der Fantasiedrink, das Ganze in maximal 15 Minuten. Und wehe, der Wettkämpfer hinterlässt Kaffeekrümel am Arbeitsplatz oder wirkt gar aufgeregt. Da kennt die Jury kein Pardon. „Wenn einer ganz verunsichert an der Maschine rumspielt, kann mir der Espresso gar nicht schmecken.“ Da ist Bernd Michaelis hart. Der Juror verkauft Kaffeemaschinen und bekommt täglich dutzende Tassen zubereitet. „Espresso ist schließlich ein Genussmittel, kein Lebensmittel.“ Sicheres Auftreten, ganz wichtig, die anderen Jurymitglieder nicken zustimmend. Kaffeeröster Vincent Schlüter, die Gastrokritikerin Eva-Maria Hilker und der Utensilienhändler Michael Beilhard sehen noch einmal ihre Bewertungstabellen durch. Allein die Kategorie „Präsentation“ hat vier Unterpunkte.

Ein Hämmern lässt alle Gespräche verstummen. Die Siebträger werden ausgeschlagen, die Dampfdüsen haben ihre Generalprobe, die Maschine bekommt ihr Dach aus Tassenziegeln: Es ist so weit. Essah schüttet die Bohnen ein, wirft das Mahlwerk an. Und bekommt den Siebträger nicht in die Halterung. Liegt’s am Gewinde? An der Maschine? Das Publikum forscht nach den Ursachen. „Er hat zuviel Kaffee drin“, meint Regionalleiter Harald Barcomi fachmännisch. Essah fällt das Kaffeesieb zu Boden. Punktabzug.

Auch die anderen Kandidaten beobachten jeden Handgriff argwöhnisch. Stefanie de Nicolo vom Coffee Star in der Wörther Straße dreht nervös einen Zuckerstreuer in den Händen. Sie hat Startnummer sechs. „Die Blattform, die er in den Milchschaum gegossen hat, das ist superschwer“, flüstert sie fast ehrfürchtig. Sie hat den ganzen Tag noch keinen Kaffee getrunken: „Bin sowieso schon ganz hibbelig.“ Müsste sie eigentlich nicht. Seit einem Jahr ist sie Shopmanagerin, ihre Eltern hatten ein italienisches Restaurant. „Cappuccini? Esspressi? Sempre! Ich bin damit aufgewachsen.“

So langsam bekommt das Jugendzentrum das richtige Café-Flair: Die Geräusche stimmen, weißen Dampf gibt’s auch, und der Duft frisch gemahlener Wiener Röstung wabert durch den Raum. Die Deko versucht zu helfen: bedruckte Jutesäcke, darauf in Grün „Exportadora Toliman, Clean Coffee“ und daneben eine große, blaue Kaffeeblüte.

„Espresso ist ein Genussmittel, kein Lebensmittel“

Über Essahs Kopf hängt das Bild von einem Mann, der eine Kaffeepackung küsst, die Augen genießerisch geschlossen. Seine Kür mixt der Kandidat aus Minzsirup, Eiswürfel, Espresso und Milchschaum, ein grünes Blatt ist die Deko. Michaelis hält prüfend seinen Finger ans Glas – zu kalt? Er zieht eine Augenbraue hoch, nippt. Vincent Schlüter, der die Baristameisterschaften nach Deutschland geholt hat, schwenkt das Kaffeeglas wie einen Weinkelch, schnuppert und schlotzt die Kreation durch die Zähne. Das Schiedsgericht zieht sich zur Beratung zurück.

In den Pausen können sich die Geschmacksknospen der Juroren ausruhen, der nächste Barista wärmt sich an der Maschine auf. In den folgenden sieben Runden schlucken die vier von der Schiedsstelle kleine Braune in gesundheitsgefährdenden Mengen. Sie werden die Nacht durchwachen, aber ihre Entscheidungsfähigkeit bleibt unbeeinträchtigt.

Es siegt nach Zeit und Punkten die Einzige mit italienischem Barista-Blut: die 26-jährige de Nicolo. Stefanie Hoffmann holt Silber, Essah ist im Pulk der Verlierer. „Ich bin total baff“, freut sich die Siegerin. „Nie hätte ich gedacht, dass ich unter die ersten drei komme.“ Es habe die gewonnen, die einen Cappuccino, keine Latte serviert und vor allem die 15 Minuten nicht überschritten habe, meint Röster Schlüter.

Bei der Kür haben viele Zeit verpulvert, indem sie mit Orangenschalen, frischem Ingwer, Pfeffer oder Vanillestangen hantierten. So auch Robert Stock: Der Favorit mit der Surferfrisur hat 24 Minuten lang gebraut und deswegen Minuspunkte bekommen. De Nicolo hatte sich für eine klassische Zimt-Espresso-Variante entschieden. „Eben, es sollten ja keine Cocktails sein“, bekräftigt Barcomi. Die kann sich Stefanie de Nicolo nach den Deutschen Meisterschaften gönnen – am Tag danach beginnt ihr Thailand-Urlaub.