■ Auf dem EU-Gipfel stand die Osterweiterung zur Debatte: Weder Mut noch Weitsicht
Selten wurde so deutlich wie auf diesem EU-Gipfel in Essen, mit welch blindem Gottvertrauen der Christenkanzler die Europäische Union in die Osterweiterung drängt. Vorwärts, der Gechichte entgegen. Nachdenklichere Gemüter werden von ihm als Bedenkenträger verhöhnt und vom schieren Gewicht des Kanzlers überrollt. Seine These ist so kurz wie schlicht: Wenn Europa nicht weiter zusammenwächst, gibt's Krieg.
Dabei meldet sich kaum jemand ernsthaft zu Wort, der einen langfristigen Beitritt der jungen Demokratien von Polen bis Ungarn verhindern will. Es geht um das Wann und Wie. Kohl und mit ihm der schwäbelnde Barny Geröllheimer wollen die Osterweiterung der EU nach demselben Rezept wie die deutsche Vereinigung: Lehn dich an mich, Barny, es wird schon irgendwie gehn. Auf ihre Art haben sie sogar recht. Irgendwie geht's immer. Die deutsche Vereinigung ging auch irgendwie. Die Welt bricht nicht so leicht zusammen. Es wird nur immer sehr teuer, wenn große Politik so ganz ohne Konzept gemacht wird.
Die Europäische Union ist meilenweit davon entfernt, auch nur die Tschechische Republik, die wirtschaftlich am stärksten ist, zu verkraften. Und zwar nicht, weil Prag noch nicht soweit wäre, sondern weil die Europäische Union mit der aktuellen Agrar- und Strukturpolitik nicht wirklich erweiterungsfähig ist. Der Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands sollte nicht darüber hinwegtäuschen. Alle drei Länder sind reich und leisten sich schon jetzt eine ähnlich verwegene Agrarpolitik wie die EU. Die Übertragung der EU-Regeln auf die mittel- und osteuropäischen Länder würde die Ausgaben glatt verdoppeln.
Wer vernünftig von Osterweiterung reden will, muß über einen grundlegenden Umbau der EU- Landwirtschaftspolitik reden. Aber darauf wollen sich Kohl und Kinkel nicht einmal ansatzweise einlassen. Sie haben die deutsche Ratspräsidentschaft genutzt, die Verhandlungen der EU mit den mitteleuropäischen Staaten so zu institutionalisieren, daß die Aufnahme zu einer reinen Frage der Zeit geworden ist. Für einen ähnlichen Schritt in Richtung auf eine Reform der Agrarpolitik fehlt ihnen die Kraft oder die Weitsicht. Sie wollen sich nicht mit der Agrarlobby anlegen. Wie es aussieht, hat niemand in der EU wirklich den Mut dazu. Dasselbe gilt auch für die Strukurfonds, die in der jetzigen Form für weitere Länder nicht finanzierbar sind.
Eine Aufblähung des Haushaltes und eine Scheckbuchdiplomatie zur Beruhigung der widerstrebenden Länder, wie das Kohl bei der deutschen Einheit vorgemacht hat, ist auf europäischer Ebene schlecht vorstellbar. Da sind schon die Briten vor. Wer den Beitritt verspricht, ohne Reformen innerhalb der Europäischen Union anzugehen, handelt unehrlich und weckt gefährlich falsche Hoffnungen. Alois Berger
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