Auf Augenhöhe:
Der Deutschländer ■ Von Richard Rother
Alles war wie immer: Der Chicken-Döner – jene wunderbare Fastfood-Revolution, die nichts, aber auch gar nichts gemein hat mit den überall erhältlichen Normalo-Dönern, bestehend aus einer undefinierbaren Hackfleisch-Mehl-Pampe – war wieder fünfzig Pfennig billiger geworden und kostete jetzt 2,99 Mark; im Radio plärrte ein Stimme etwas von den größten Hits; die Lichter der Spielautomaten flackerten. Es herrschte jene typisch eigentümliche Imbissstimmung: Permanent schwankt die Kundschaft zwischen Selbstekel, Selbstmitleid und Selbstzufriedenheit, weil sie solch billiges Abendbrot verspeist (Döner plus Dosenbier für fünf Mark).
Dann geschah doch etwas nicht Absehbares: Ein Mann um die vierzig, mit dicker Nase, verzottelten Haaren, verlotterten Sachen, und seine Begleiterin, ähnlich aussehend und mindestens genauso betrunken, wollten das Lokal verlassen, ohne zu zahlen. Auf erboste Zurufe des türkischen Imbissverkäufers hob der Mann die Faust und lallte: „Ick bin Deutschländer, du kannst mir mal.“ Dann torkelte er Richtung Tür.
Weit kam er nicht. Ein anderer Gast, Typ Handwerker, Mitte 30, versperrte ihm den Weg: „Is mir scheißejal, wat du bis, du Würstchen. Hier zahlste, wie jeda andre ooch.“ Dazu gesellte sich drohend ein weiterer Deutscher, Typ Langzeitstudent, der dem Handwerker beipflichtete. Aus dem hinteren Teil des Raumes rief eine junge Frau, Typ Medizinstudentin aus Sachsen, der Penner dürfe auf keinen Fall entkommen.
Da sich auch die zwei Männer hinter der Theke in Bewegung setzten, kramte der Betrunkene in seinen Taschen und förderte etwas Silbergeld zu Tage, das er auf den Glastresen warf. Danach ging er, nicht ohne „Scheiße“ zu fluchen und gegen die Tür zu treten.
Im Lokal regte sich die Aufregung nur langsam. Wörter wie „unverschämt“, „unmöglich“, „Frechheit“ schwirrten durch den Raum, der Handwerker entschuldigte sich bei den Tresenkräften – „für meine Landsleute“, und der langhaarige Student brabbelte „beim nächsten Mal werde ich ...“ in seinen Bart. Einer der Imbissverkäufer versuchte zu erklären, dass er dem Mann gern einen seiner guten Döner spendiert hätte, wenn dieser kein Geld gehabt hätte, dass er aber überhaupt nicht mit dessen Art einverstanden gewesen sei.
Später, als die drei Gäste längst gegangen waren und die Radiowerbung wieder die Soundhoheit im Laden gewonnen hatte, stand die Begleiterin des Deutschländers vor der Tür. Noch bevor sie in den Laden hineinkommen konnte, war schon ein Imbissverkäufer zur Stelle. „Raus hier!“ Die Frau bettelte: „Ich will doch nur zwei Bierchen.“ Der Mann stieß sie auf den Bürgersteig, schlug die Tür zu und baute sich dahinter auf. Der andere Imbissverkäufer schaute interessiert zu, sorgfältig sein Döner-Messer schärfend.
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