: Audienz bei Bruder Johannes
Bremer Muslime tragen die Botschaft, „in Bremen läuft manches anders“, nach Schloss Bellevue. Dort saßen Aleviten, Sunniten und Milli Görüs-Vertreter einträchtig beim Bundespräsidenten
taz ■ Berlin, Schloss Bellevue. Draußen First Lady Christina Rau im roten Kostüm. Dann durchs klassizistische Treppenhaus zur Audienz beim Bundespräsidenten. Schon bevor die erste von 60 Minuten bei Johannes Rau verstrichen war, waren die 27 Bremer MuslimInnen beeindruckt.
Dabei hatte die Delegation von der Weser vorletzte Woche in der Hauptstadt selbst beeindrucken wollen – mit dem „Bremer Modell“. Dieser Serie von Runden Tischen und Arbeitskreisen, die Christen, Muslime, Juden und Vertreter des Rathauses so beharrlich miteinander ins Gespräch bringen, dass Vorurteile und Feindseligkeiten nur schwer gepflegt werden können. Beteuern jedenfalls alle Beteiligten.
Zwei „Bremer Islamwochen“ haben diese Gespräche bislang flankiert. Einwöchige Themenwochen, in denen Kontroversen kontrolliert aufbrechen konnten – falls sie durch monatelange Vorbereitung im Kreis der Muslime nicht schon vorher entschärft wurden.
„Mit der Islamwoche haben wir Henning Scherf als Schirmherr viel zu verdanken“, sagt Hevzi Latifi von der albanischen Moschee. Latifi gehörte zu den ausgewählten Rednern, die für die Bremer Delegation das Wort ergriffen – und die vom Generationswechsel in den Moscheen sprachen, von der Vielfalt des muslimischen Glaubens, von versuchten Dialogen der Frauen aller Religionen und immer wieder von Frieden.
„In Bremen und Umgebung leben 40.000 Muslime verschiedener Nationalitäten: Türken, Araber, Deutsche, Bosnier, Albaner und Afrikaner. Die Hälfte mit deutschem Pass“, berichtete Rawhi Sweidan für die arabischen Muslime. „Wir beten für eine friedliche Welt, die frei von Gewalt und Terrorismus ist.“ Die Bremer Muslime glaubten nicht, die Probleme der Welt lösen zu können– aber wenigstens in Bremen zu zeigen, wie Probleme gelöst werden. „Das Besondere in Bremen ist, wie wir miteinander umgehen“, sagt Heinrich Kahlert, Islambeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche. „Wir reagieren nicht mechanisch, sondern kreativ.“
Über solche kreativen Wege muss es gelungen sein, nun auch den Vertreter der alevitischen Gemeinde mit in den Zug nach Berlin zu bekommen. Erstmals wieder, seit es bei der Vorbereitung zu den Islamwochen gekracht hatte. „Auch wir Muslime müssen mehr miteinander und weniger über einander sprechen“, sagt dazu Sanvar Coban.
Dass Sanvar Coban selbst als Mitglied der umstrittenen, vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Milli Görüs zu Johannes Rau gereist war, hatte die Gruppe „gleich offen angesprochen“, wie Kahlert sagt. Auch das gehöre eben zu den Bremer Spielregeln. So habe es auch Bürgermeister Scherf vertreten, der bei Rau zur Delegation gestoßen war – und dann den Rest des Tages inklusive Heimreise mit den Muslimen verbrachte. Ganz im Auftrag Raus: „Macht weiter so“. Ganz Bürgermeister zum Anfassen. Und „ganz normal und freundschaftlich“, wie die MuslimInnen betonen. So schätze man Scherf. Auch wenn mancher sich fragte: „Warum tut der das? Eine Stunde mit uns hätte doch gereicht.“ Zumal – das ist unter MuslimInnen kein Geheimnis – Scherf bei ihnen nicht um Stimmen wahlkämpfen müsse. „Seine Partei vielleicht“, lacht Sanvar Coban. „Aber doch nicht Herr Scherf.“ ede