■ Auch der ORB-Starmoderator Lutz Bertram war ein williger und leistungsbereiter IM der Staatssicherheit - das zeigen, weit mehr als seine Bekenntnissendung vor zwei Wochen, die am Freitag...: Wir müssen durch diesen Ekel durch
Auch der ORB-Starmoderator Lutz Bertram war ein williger und leistungsbereiter IM der Staatssicherheit – das zeigen, weit mehr als seine Bekenntnissendung vor zwei Wochen, die am Freitag veröffentlichten Akten. Wir nehmen den Fall Bertram zum Anlaß für eine Zwischenbilanz: Warum drängten gerade so viele IMs nach der Wende an die Öffentlichkeit, ohne sich zu offenbaren? Wie kommt es, daß viele IMs noch heute Kontakt zu ihren Führungsoffizieren halten? Ist eine Amnestie ohne Amnesie denkbar, wie Richard von Weizsäcker sie jetzt forderte? Mit Bärbel Bohley unterhielten sich Bascha Mika und Wolfgang Gast
Wir müssen durch diesen Ekel durch
taz: Heiner Müller hat behauptet, die einzig intelligenten Leute in der DDR wären die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen.
Bärbel Bohley: Die waren so blöd, daß sie vierzig Jahre rund um die Uhr bestimmen konnten und hinterher nichts als einen Schrotthaufen übriggelassen haben. Das mit der Intelligenz ist die Lebenslüge des MfS und auch die Heiner Müllers.
Der jüngst enttarnte Rundfunkmoderator Lutz Bertram glaubt, er wäre wegen seiner besonderen Fähigkeiten beim MfS gelandet.
Damit wollen sich diese Leute nur in neue Positionen hineinmanövrieren. Sie sollen für unverzichtbar gehalten werden. Aber sie sind verzichtbar im öffentlichen Leben. Der Ostdeutsche Rundfunk wird ohne Lutz Bertram und Brandenburg wird ohne Manfred Stolpe weiterexistieren.
Es fällt auf, daß viele IMs, von Böhme bis Bertram, nach der Wende eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit suchten.
Sie wollten weiterhin an der Macht teilhaben. Auch bei Bertram war es die Lust an der Macht.
Wie geht Feigheit mit der Bedenkenlosigkeit der meisten IMs nach der Wende zusammen?
Einerseits war es Strategie des MfS und andererseits wollten viele IMs nach '89 endlich mal aus dem Dunkel auftauchen und Regie führen, statt immer nur Souffleur zu spielen. Das sieht man an allen: An Wolfgang Schnur, dem die Bühne egal war, auf der er spielte. An Ibrahim Böhme ebenfalls. Eigentlich an allen hochkarätigen Leute, die bisher aufgeflogen sind. Dabei sind ja noch längst nicht alle, die im öffentlichen Leben die große Klappe haben, enttarnt worden.
Wie kommt es, daß sie sich mit dieser Vergangenheit so in die Öffentlichkeit drängten?
All diesen Leuten ist natürlich auch versichert worden, daß ihre Akte vernichtet ist. Außerdem behaupte ich, daß Bertram bis heute seine Aufgabe erfüllt hat. Genau diese Rolle im ORB gehörte dazu. Auch zu den Aufgaben der anderen hat es gehört, sich an die Spitze der neuen Bewegungen zu stellen.
Sie hatten doch keinen Arbeitgeber mehr. Wer hat ihnen nach der Auflösung des MfS den Auftrag gegeben?
In allen neuen Bewegungen waren Leute an der Spitze, die nicht echt waren, die weiter nach Stasi- Logik arbeiteten. Sie wollten den Osten in der Hand behalten.
Sie meinen, es hat sich verselbständigt.
Ja. Es ging und geht ja auch nicht mehr um die DDR, sondern um Macht. Man findet kaum einen, der wirklich erpreßt wurde, das haben fast alle freiwillig gemacht.
Aber diese Schizophrenie von so einem wie Bertram: Sich Gregor Gysi und Manfred Stolpe in seine Sendung einzuladen – beide unter IM-Verdacht – und sie zu fragen: „Ham Se oder ham Se nich?“
Bei Bertram ist es die Eitelkeit, der Kick intellektuell sein zu wollen und die Leute in die Enge zu treiben. Ich glaube nicht, daß er Gysi enttarnen wollte, er wollte sich einfach mit ihm messen. Und als Moderator konnte er das Thema Stasi natürlich auch nicht vermeiden, ohne sich nicht zu verraten. Als Hörer fühlt man sich so betrogen, weil man geglaubt hat, da sitzt ein wirklich unabhängiger Geist, der die ganze Wiedervereinigung kritisch begleitet. Dabei saß da nur jemand, der vorher an der Macht teilgenommen hat und das jetzt noch verteidigt.
Bertram hat seine Nachwendezeit als Katharsis am Mikro beschrieben, an deren Ende er sich selbst outen wollte.
Das ist Humbug. Das hat bisher so gut wie niemand getan. Bertram hätte freiwillig nie etwas gesagt, davon bin ich überzeugt. Auch das Geständnis seines Kollegen Kuttner war nur strategisch.
Sie glauben Bertram nicht?
Natürlich hat es sich gut angehört, als er von der Eiterbeule sprach, die er abschneiden wolle. Im ersten Moment hat es den Anschein gehabt, als ob er sich seiner Vergangenheit stellt. Aber dann wurde ganz deutlich, daß er sich ihr nur stellt wie ein Moderator, den es nicht persönlich betrifft.
Soll so jemand weiter moderieren? Bertram hat sein Verhältnis zur Arbeit als reinste Obsession geschildert. Wieviel er verdiente, erwähnte er nicht.
Ich hätte nie geglaubt, daß er so kitschig ist, bis in die Knochen versaut. Er will sich ehrlich machen und dafür auch noch gut bezahlt werden. Ich meine nicht, daß er noch weiter moderieren soll.
Was für eine psychische Disposition gehört zu einem solchen Verhalten?
Das sind Leute, die aus allem ihren Nektar saugen. Das haben sie ja schon in der DDR getan. Jetzt sehen sie alles zusammenbrechen und verteidigen ihr Leben. Ihre doppelte Existenz wird plötzlich eindimensional und dadurch ganz flach. Bertram sieht doch ganz hohl aus, und gucken sie sich Schnur an: Der hat doch kein Gesicht mehr.
Geht es mehr um die materielle Existenz oder um Identität?
Denen, die in der Öffentlichkeit stehen, geht es um ihre Identität. Die sind ja nichts ohne ihren Führungsoffizier. Das hat sich ja auch an Bertrams Äußerungen gezeigt. Noch heute ist er ohne seinen Führungsoffizier nur ein halber Mensch. Und diesem halben Menschen glaube ich nichts mehr. Auch nicht, daß er nach '89 einen Aufbruch gehabt hat. Im Gegenteil. Er hat wahrscheinlich nur bessere Arbeitsbedingungen bekommen.
Was soll man mit diesen halben Menschen machen?
Die Führungsoffiziere haben ja häufig eine therapeutische Rolle übernommen und dem schwachen Spitzel-Ich eine Identität verschafft. Andererseits waren auch sie auf die IMs angewiesen. Es war eine Symbiose von zwei armen Schweinen. Jetzt brauchten wohl Spitzel und Offiziere eine Therapie, um sich von der Stasi zu lösen.
Alle enttarnten IMs behaupten, sie hätten nicht freiwillig mit der Wahrheit herausrücken können, weil sie sonst ins gesellschaftliche Abseits gesaust wären.
Damit wird nur auf Mitleid gemacht. Die Realität ist eine andere wie man an Manfred Stolpe und Gregor Gysi sehen kann. Manchmal wird einem enttarnten IM die besondere Rolle in der Öffentlichkeit verwehrt, aber das finde ich auch richtig. Sie dürfen keine Macht mehr über andere Menschen haben.
Wie werden sich die jüngsten Enttarnungen auf die Amnestiedebatte auswirken?
Bertram und Kuttner wurden doch gleich strategisch benutzt. Sie waren der Testballon, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Ich hab' 1989 zu denen gehört, die sagten: Auch die Stasi will erlöst sein. Aber das stimmt ja gar nicht. Die meisten wollen gar nicht erlöst sein, sondern nur weitermachen. Man kann nicht sagen: Schlußstrich und basta. Schließlich haben sie alle Schaden angerichtet. Sie haben Vertrauen zerstört, privat und in der Politik. Damit werden wir im Osten bis heute nicht fertig. Aber solange Mißtrauen da ist, muß man nachfragen können. Ich weiß, daß wir durch diesen Ekel durchmüssen und nicht einfach ein Tuch darüberdecken können.
Wenn man sich die sogenannte Aufarbeitung der Nazizeit ansieht, kann man keine große Hoffnung haben, daß es mit der DDR-Vergangenheit besser läuft.
Deshalb kann man es nicht sein lassen. Es sind Versuche, und die sind defizitär. Aber wenn wir es nicht machen, wird es uns einholen. Es kann doch nicht sein, daß jemand wie Stefan Heym behauptet, alle die mit der Stasidebatte nicht Schluß machen wollen, seien neurotisch. Die Opfer sind also die Neurotiker. So schamlos war man selbst nach '45 nicht.
Was halten Sie von den Leuten, die jetzt nach Amnestie rufen?
Das sind zum einen Harmonisierer, die das Thema vom Tisch haben wollen. Dann gibt es die Leute, die politisches Kapital daraus schlagen wollen, wie die SPD – auch wenn die CDU insgesamt nicht besser ist. Dann gibt's natürlich die, die selber Dreck am Stecken haben. Und zuletzt sind es Leute, die glauben, daß wir uns endlich mit anderen Themen – wie der sozialen Lage im Osten – beschäftigen könnten, wenn die Stasidebatte vom Tisch ist. Aber die Stasi ist der Sand in dieser Gesellschaft ...
... da knirscht's.
Ja. Man kann kein Thema bearbeiten, ohne daran zu stoßen. Auch wenn man zehnmal beschließt, daß man das alles fallen lassen will. Es wird immer wieder durchbrechen. Es ist wie ein Schimmelpilz.
Das würden die meisten im Osten bestreiten.
Alle im Osten wollen verdrängen. Die wenigsten können sich ihrer Vergangenheit wirklich stellen. Darauf wird es aber ankommen. Wenn Menschen die Lüge wählen, dann hat sie das bis ins Innerste gebrochen. Und wir haben alle gelogen. Wie oft habe ich irgendetwas gesagt, von dem ich wußte, daß es nicht stimmt. Das hat jeder gemacht – in der Schule, in den Betrieben. Wir müssen wieder lernen, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Das ist politisch absolut notwendig.
Richard von Weizsäcker sagt im heutigen „Spiegel“, daß man eine Amnestie erlassen soll und sich stattdessen nur noch inhaltlich mit der DDR-Vergangenheit auseinandersetzen soll.
Das heißt nur: Deckel drauf. Wie kann ich denn davon ausgehen, daß diese komplizierten Strukturen, die sich in der DDR herausgebildet haben, ins Bewußtsein kommen, wenn man sie nicht aufdeckt.
Aber Weizsäcker sagt doch, es geht um Amnestie und nicht um Amnesie!
Weizsäcker sagt, „die Wahrheit muß auf den Tisch, soweit sie zugänglich ist“. Die Wahrheit ist aber nicht einfach so zugänglich! Und leider wird sie manchmal erst vor Gericht gefunden. Und Weizsäcker sagt auch, „das Ziel muß die Aussöhnung sein“. Aber das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist die Aufdeckung der totalitären Mechanismen.
Sind Sie denn wirklich gegen die Aussöhnung?
Natürlich nicht. Im Gegenteil: Ich bezweifle eher, daß die Befürworter der Amnestie sie wirklich wollen. Weizsäcker spricht von seiner „Achtung“ für die Opfer. Aber es geht nicht um Achtung, sondern es geht um Genugtuung für die Opfer. Ich behaupte: Viele Befürworter der Amnestie wollen sich nur mit den Tätern aussöhnen. Wir müssen uns aber stellen. Der Westen auch. Auch da müssen endlich die IMs enttarnt werden.
Fünf Jahre ist es her, daß Mielke abgedankt hat. Wenn wir in weiteren fünf Jahren hier sitzen, werden wir mit der Stasidebatte dann weiter sein?
Na, das hoffe ich doch. Das Thema hat was mit Menschen zu tun, deshalb hält es sich ja seit Jahren in der Diskussion. Gerade an der Bertram-Geschichte merkt man, wie es die Leute beschäftigt.
Alle IMs bis dahin enttarnt?
Die IM-Geschichte ist zum Glück ein Generationsproblem. Aber der tiefere Konflikt natürlich nicht. Deshalb wird uns wahrscheinlich das Thema in fünf Jahren wieder beschäftigen.
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