Atomrenaissance in Schweden: Sozialdemokraten gespalten
Der Ausstieg vom Atomausstieg wird Thema im schwedischen Wahlkampf. Dabei gibt es Zweifel am Bedarf. Der deutsche Staatsekretär für Umwelt übt scharfe Kritik.
STOCKHOLM taz Schweden hat mehr als ein Jahr vor dem nächsten Urnengang sein heißes Wahlkampfthema. Die Ankündigung der Mitte-rechts-Regierung von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, das Neubauverbot für Atomreaktoren aufzuheben, zieht nun eine deutliche Trennungslinie zwischen den politischen Lagern. Sozialdemokraten, Linkspartei und Grüne, die sich als vereinte Regierungsalternative positioniert haben und die mit einem gemeinsamen Programm in die Wahlen gehen wollen, machten klar, dass es mit ihnen keinen einzigen neuen Atomreaktor in Schweden geben wird. Das Gesetz zum Ausstieg aus dem Ausstieg, so es denn im Parlament verabschiedet werden sollte, würde von ihnen wieder gekippt werden.
Für Linkspartei und Grüne wird es relativ einfach sein, dieses Versprechen einzuhalten. Bei den Sozialdemokraten sieht das anders aus. Der Teil ihres Gewerkschaftsflügels, der zu den Industriegewerkschaften gehört, will solange wie möglich auf Atomstrom setzen. Mit seinem niedrigen Preis sei dieser ein Konkurrenzvorteil für Schwedens Wirtschaft und damit auch für die Sicherheit der Arbeitsplätze, erklärte beispielsweise Stefan Lövén, der nicht nur Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall, sondern auch Mitglied des sozialdemokratischen Parteivorstands ist. In der Tat zahlten Unternehmen in Schweden lange Zeit vergleichsweise niedrige Tarife. Dies lag jedoch vor allem daran, dass der Staat nicht nur den ursprünglichen Reaktorbau finanzierte, sondern den Atomstrom auch steuerlich begünstigte.
Direkte und indirekte Subventionen solle es künftig aber nicht mehr geben, sagt nun auch die Regierung Reinfeldt. Sie kündigte außerdem an, Neubauten würden nur genehmigt, wenn die Betreiber sich ordentlich gegen die von ihren Anlagen ausgehenden potenziellen Gefahren versicherten. Neu produzierte Reaktoren stellen ein kaum vorauskalkulierbares Investitionsrisiko dar - wie nicht zuletzt das Beispiel Finnland zeigt.
Zweifel gibt es auch am Bedarf für neue Reaktoren: Der Chef der staatlichen Energiebehörde, Tomas Kåberger, sagte der Zeitung Dagens Nyheter, Schweden werde für "einige Jahrzehnte" über mehr als genug Elektrizität verfügen. Deshalb sehe er keinen Grund, jetzt eine Entscheidung über die Zukunft der Kernenergie zu treffen.
Scharfe Kritik am schwedischen Plan kam aus dem deutschen Umweltministerium: Die Entscheidung sei "ein Eingeständnis der Gestaltungsunfähigkeit", sagte Staatssekretär Michael Müller (SPD) der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es sei unbestritten, dass die Zukunft bei erneuerbaren Energien und Effizienztechnologien liege. Die schwedische Regierung verfolge eine "völlig kurzsichtige Politik".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag