Atomausstieg: Technik im Stil von gestern

Im still gelegten Atomkraftwerk Stade wird zu Beginn dieser Woche das letzte Stück des hoch radioaktiven Reaktordruckbehälters zerlegt. Für die Arbeiter ist dieser Termin ein Grund zum Feiern.

Strahlender Riese im Idyll: Stade ist das einzige AKW, das dem Atomkonsens zufolge stillgelegt wurde. Bild: Klaus Irler

Unter den norddeutschen Atomkraftwerken ist es eigentlich üblich, während der Bau- oder während der Betriebsphase von sich reden zu machen. Das AKW Brokdorf zum Beispiel steht für Demonstrationen mit viel Gewalt. Der Meiler in Krümmel steht für die Frage, inwieweit sich die Strahlenbelastung auf die Leukämierate in der Region auswirkt. Das AKW Brunsbüttel ist bekannt für viele Pannen und viel Stillstand. Und Stade? Ist quasi posthum berühmt geworden. Als erstes AKW, das im Zuge des rot-grünen Atomkonsenses abgeschaltet wurde.

Am 14. November 2003 ging das AKW Stade vom Netz. Seit September 2005 werden die nuklearen Komponenten zurückgebaut. Im Lauf dieser Woche wird das letzte Stück des hoch radioaktiven Reaktordruckbehälters zerlegt. Das ist jenes Behältnis, in dem sich der Reaktorkern mit den Brennelementen befand - das Herzstück der Anlage.

Wenn der Reaktordruckbehälter weg ist, dann ist das für den Prozess des Abrisses ein Termin, den die Arbeiter im AKW Stade feiern werden. Es wird so ähnlich sein wie bei einem Richtfest, nur dass man wohl kein Bäumchen aufstellen wird. Weil das Aufstellen nicht zum Abbauen passt.

Das Atomkraftwerk Stade ging 1972 ans Netz und lief bis zum 14. November 2003. Es war der erste Meiler, der gemäß dem von Rot-Grün ausgehandelten Atomkonsens aus dem Jahr 2000 abgeschaltet wurde.

Mit einer Nettoleistung von 630 Megawatt zählte es zu den kleinsten AKWs in Deutschland. Es gehört zu zwei Dritteln dem Energiekonzern Eon und zu einem Drittel dem Konzern Vattenfall.

Abgeschaltet wurde das AKW aus wirtschaftlichen Gründen: Die vergleichsweise geringe Leistung "erforderte nicht im gleichen Verhältnis weniger Aufwand", schreibt Eon.

Die Kosten für den Rückbau liegen bei 500 Millionen Euro. Der Bau des AKW kostete 300 Millionen D-Mark.

In vier Phasen gliedert sich der Rückbau. Der nun anstehende Abbau des Reaktordruckbehälters ist Teil von Phase drei.

Die Reststrommenge in Höhe von 4,8 Milliarden Kilowattstunden verkaufte Eon an den Konzern RWE, der sie auf das AKW Biblis übertrug.

Sicher wird es aber Erinnerungsfotos geben. Denn die Arbeiter im AKW Stade sind stolz auf das, was sie leisten. Zwar habe es nach dem Stilllegungsbeschluss eine Phase der Depression gegeben, sagt Standort-Sprecher Burkhard Senkbeil. "Aber es war bewundernswert, wie schnell sich die Mitarbeiter auf die neuen Aufgaben gestürzt haben."

Vor der Stilllegung gab es 320 Eon-Mitarbeiter in Stade, derzeit sind es 125 Eon-Mitarbeiter und zwischen 180 und 220 Mitarbeiter anderer Firmen. Statt "Abriss" sagen sie "Rückbau" - das klingt konstruktiver und wird der Sache besser gerecht. Denn wenn über dem AKW überhaupt eine Abrissbirne schwingt, dann am Ende. Davor gibt es viele Arten von Sägen, die alle möglichen mehr oder weniger verstrahlten Materialien in Einzelteile der Größe 80 mal 80 mal 50 Zentimeter zerschneiden, damit sie in standardisierte Gitterboxen passen - und abtransportiert werden können. Oder eingelagert im Zwischenlager nebenan.

Der Rückbau ist in vier Phasen unterteilt und wenn in diesen Tagen der Reaktordruckbehälter zerlegt ist, ist ein wesentlicher Teil der Rückbauphase drei erledigt. 2015 soll das AKW Stade vom Erdboden verschwunden sein. Insgesamt wird der Abriss dann 12 Jahre gedauert haben. Das AKW zu bauen, dauerte vier Jahre - von 1968 bis 1972.

Betritt man heute den inneren Bereich des Atomkraftwerks, steht man zunächst in einem Raum mit weißen Spinden, zwischen denen tendenziell bärtige Männer in grauer Einheits-Unterwäsche unterwegs sind. Wenn sie angezogen sind, sehen sie aus, als wäre das Atomkraftwerk noch in Betrieb: Ganzkörperoverall, Handschuhe, Helm, Schlappen. Das Fachwort lautet: "Kontaminationsverschleppung". Die soll vermieden werden.

In der Kuppel, da, wo früher Atomkerne gespalten wurden, riecht es nach verbranntem Metall. Der Geräuschpegel erinnert an eine Bahnhofshalle: Auseinander halten lassen sich die Geräusche schwer, Lüftungsanlagen im Dauerbetrieb mischen sich mit Sägearbeiten und Stahl, der auf Stahl trifft. Überall gibt es Schaltkästen, Rohre, abgenutzte Geländer, Stahltüren, angeschrammte Betonwände.

Es ist eine Industrieanlage alter Prägung: Alles ist greifbar, es geht um Materialien und ihre Belastbarkeit. Heutzutage stellt man sich Hightech anders vor. Weniger mechanisch. Eher lautlos und digital.

Vielleicht ist das ein Problem der Atomkraftwerke: Dass sie sich unter dem Stil-Gesichtspunkt so verhalten wie ein Fernsprechapparat zu einem iPhone. Da hilft es auch nichts, wenn der Fernsprechapparat von seinem Betreiber "immer auf dem neuesten Stand der Technik" gehalten wird.

Zumal, wenn die neueste Technik nur dazu da ist, das, was einmal die neueste Technik war, aus der Welt zu schaffen. Die hochradioaktiven Brennelemente hat Eon bereits kurz nach der Stilllegung in die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague gebracht. Die schwach- bis mittelradioaktiven Komponenten werden vor Ort dekontaminiert mit Stahlkiesstrahlen, Hochdruckwasserstrahlen und chemischen Lösungen.

Ferner wird geschmolzen und verdampft, was geht, aber irgendein Rückstand bleibt immer. Im Falle des Verdampfens ist es eine Art Staub, der radioaktiv verseucht ist. Das Dekontaminieren löst das Problem nicht, es bringt es nur in eine neue Form.

Für die schwach- und mittelradioaktiven Stoffe hat Eon ein Zwischenlager direkt neben dem Atomkraftwerk gebaut mit einer Betriebsgenehmigung für 40 Jahre. "Wir hoffen, dass wir die Genehmigung nicht ausschöpfen müssen", sagt Standort-Sprecher Senkbeil. Eon rechnet damit, den Müll in das Endlager Schacht Konrad bringen zu können. Ursprünglich sollte das Lager ab 2014 bereit sein, Müll aufzunehmen. Dieser Termin wird sich allerdings laut Bundesamt für Strahlenschutz um bis zu fünf Jahre verzögern.

Was nach dem Rückbau mit dem Gelände des AKW passiert, ist derzeit nicht die Frage. Interessant ist, wie es neben dem AKW-Gelände weiter geht: Eon will dort ein Kohlekraftwerk bauen und stößt damit bei den Stader Politikern auf Gegenliebe. Neben Eon plant der Chemiekonzern Dow, ein Kohlekraftwerk zu bauen. Bereits drei Bürgerinitiativen versuchen, die Neubauten zu verhindern. Es werden Kraftwerke sein, die nicht erst posthum von sich Reden machen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.