Asylpolitik in Schweden: Abschiebung trotz Todesgefahr
Schweden hat einen schwulen Iraker in dessen Heimat abgeschoben. Weiteren droht das gleiche Schicksal, obwohl Homosexuelle im Irak weiter verfolgt und ermordet werden.
STOCKHOLM taz Ali ist vor vier Jahren nach Schweden gekommen. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Er floh aus dem Irak, nachdem ihn die Sicherheitspolizei mit seinem Freund überrascht und wegen "unmännlichen Verhaltens" zeitweise inhaftiert hatte. Sein Freund "verschwand". Laut Ali wurde er von seiner eigenen Familie wegen der angeblichen Schande ermordet. Während Alis Asylverfahren lief, lebte er in Stockholm drei Jahre lang mit einem schwedischen Freund zusammen.
Vergangene Woche wurde der 27-Jährige nach Bagdad abgeschoben. Sein Asylantrag war abgelehnt worden mit der Begründung, er stamme aus dem nördlichen Irak. Auch dort sei die Verfolgungssituation für Homosexuelle zwar "fürchterlich", aber dennoch "erträglich" und der "Schutzbedarf weniger groß". Ein Asylgericht hatte an dieser Einschätzung nichts auszusetzen. "Sie agierten ganz kalt", beschreibt Alis Freund die Abschiebung. "Er sollte raus und sie nutzten die Chance." Die Chance: Sein Rechtsanwalt hatte ein neues Verfahren aufgrund neuer Erkenntnisse eingeleitet, aber das Gericht hatte noch nicht über einen vorläufigen Abschiebestopp entschieden.
Die neuen Erkenntnisse, auf die sich Alis Rechtsanwalt berief, stammten aus einem Bericht der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) vom 17. August. Danach hat sich die Situation für Homosexuelle im Irak seit Anfang dieses Jahres massiv verschlechtert. HRW hat eine ganze Reihe außergerichtlicher Hinrichtungen, Entführungen und Folterungen von Homosexuellen dokumentiert. In dem Bericht zitierte Opfer und Augenzeugen machen irakische Sicherheitskräfte sowie die schiitische Mahdi-Armee für die Übergriffe verantwortlich.
Nach Schätzungen von HRW wurden bereits hunderte Männer getötet, wobei einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen im Irak keine Straftat sind. Augenzeugen berichten vom brutalen Vorgehen der Milizen, die oftmals in der Nacht ihre Opfer aufsuchen, sie dann entführen, foltern und ermorden. "Seine Leiche wurde nach dem Überfall am nächsten Tag in der Nachbarschaft entdeckt. Sie hatten den Körper auf den Müll geworfen; seine Genitalien hatten sie ihm abgeschnitten und ein Stück vom Hals herausgetrennt", zitiert der Bericht die Aussage des Partners eines Ermordeten.
Für Stig-Åke Petersson, Flüchtlingssachbearbeiter des schwedischen Reichsverbandes für Schwulen und Lesben (RFSL), ist es völlig unverständlich, dass schwedische Behörden "so gut dokumentierte Verfolgungen bis hin zu Ermordungen einfach nonchalant übergehen."
Schweden will mindestens drei weitere Iraker, die wegen Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Identität geflohen sind, in den Irak ausweisen. Die Begründung lautet, die individuelle Prüfung habe keinen ausreichend großen Schutzbedarf im Nordirak ergeben. Dies, obwohl HRW und das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR ausdrücklich auf die besondere Gefährdung von aus dem Ausland in den Irak zurückgezwungenen Flüchtlingen verweisen.
Ende vergangener Woche demonstrierte RFSL in Stockholm gegen die Asylpraxis Schwedens und forderte einen Stopp der Ausweisungen. RFSL forderte in einer Presseerklärung, Schweden müsse als EU-Ratspräsident darauf hinwirken, dass die Botschaften der EU-Staaten in Ländern, in denen Homosexualität kriminalisiert wird, zur Aufnahme solcher Flüchtlinge bereit sind.
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