Asyl für Guantánamo-Freigelassene : KOMMENTAR VON BETTINA GAUS
Es ist eine Sache, die Menschenrechte zu preisen. Eine andere Sache ist es, sie konsequent auch dann zu beachten, wenn es gefährlich wird. Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter, dürfte sich in der EU wenig Freunde gemacht haben, als er forderte, sie solle Häftlinge aus Guantánamo nach einer eventuellen Schließung des US-Gefangenenlagers aufnehmen. Schwierig, schwierig. Weiß man denn, wen man sich da ins Land holt?
Es gibt durchaus Grund zur Sorge. Die Prinzipien des Rechtsstaats sind in Guantánamo außer Kraft gesetzt. Das ist abstoßend – bedeutet aber nicht, dass dort ausschließlich Unschuldige inhaftiert sind. Gut möglich, dass Terroristen einsitzen, denen Straftaten lediglich nicht bewiesen werden können. Dann müssen sie jedoch als unbescholten gelten. So ist das mit dem Rechtsstaat. Risikolos ist er nicht. Wie sich beim Terrorismus zeigt, aber auch bei Kindesmissbrauch und Raubmord. Und bei Drogendelikten.
Es wäre deshalb zwar wichtig, aber keinesfall hinreichend, wenn die Bundeskanzlerin den US-Präsidenten bei seinem Besuch in Stralsund erneut aufforderte, Guantánamo zu schließen. Es geht um mehr. Wem daheim Tod oder Folter droht, hat einen Anspruch auf Schutz von Ländern, die Menschenrechte achten. Auch die USA haben diese Rechte auf ihre Fahnen geschrieben. Sie halten es sogar für legitim, dafür Angriffskriege zu führen.
Um diesem Anspruch wenigstens im eigenen Land gerecht zu werden, genügt es nicht, Guantánamo dichtzumachen. Oder Verhandlungen – wie von Nowak gefordert – vor ordentlichen Strafgerichten statt vor Militärgerichten stattfinden zu lassen. Vielmehr muss freigesprochenen Angeklagten aus Willkürstaaten, die schließlich gegen ihren Willen auf US-Territorium verschleppt worden sind, darüber hinaus die Wahl gelassen werden, ob sie in den Vereinigten Staaten zu bleiben wünschen oder nicht.
Nur wenn sie das nicht wollen, sollte die EU ihnen Zuflucht anbieten. Sie ist nämlich nicht verpflichtet, für die USA ein Problem zu lösen, das diese sich selbst geschaffen haben. Oder sollten die USA etwa nicht mehr als sicheres Drittland gelten?
SEITE 9