■ Astrid Lindgren irritiert: Französischer Verlagsgigant zensiert Pippi Langstrumpf: Hachette als literarisches Cu-Clux-Clean-Hauptquartier
Stockholm (taz) – Pippi Langstrumpf ist kein starkes, selbständiges und wildes Mädchen, sondern ein willenloses kleines Kind, das die Welt der Erwachsenen um Verzeihung für ihre Streiche bittet. Astrid Lindgren hat nicht etwa ein neues Pippi-Buch geschrieben: Der französische Verlag Hachette hat die Bücher vielmehr übersetzen lassen, ein Drittel als „ungeeignet“ gestrichen und den Rest gründlich verfälscht. Grund der unglaublichen Aktion: Französische Kinder sollen auf keinen Fall auf den Gedanken kommen, gegen ihre Eltern aufmüpfig zu werden.
„Es ist fürchterlich, die haben gemacht, was sie wollten“, stöhnte Astrid Lindgrens Auslandsagentin Kerstin Kvint. So darf „Fifi“, wie Pippi sauber auf französisch heißt, zwar Frau Rosenblom – die mit den Wollhosen und der Schleimsuppe – ärgern und deren Dummheit bloßstellen, aber nur mit kräftiger Entschuldigung am Schluß: „Sei nicht böse, sagt Fifi. Verzeih, wenn ich dich geärgert habe. Ich bin ungezogen. Aber wenn man allein lebt, so wie ich, wird man zum Schluß anders als die anderen.“ Keiner hat solche Sätze im Original je gesehen, die französische Übersetzerin Marie Loewegren hat sie schlicht erfunden. Hachette hatte sie beauftragt, Pippi zu „reinigen“, alles für französische Kinder Schädliche aus den Büchern zu streichen.
Auch mit erfundenen Entschuldigungen nicht mehr zu retten waren ganze Episoden: Die französische Fifi darf sich nicht über Polizisten lustig machen, und auch der Abschnitt, wo sie es den „feinen Damen“ an der Kaffeetafel so richtig zeigt, ist der Zensur zum Opfer gefallen. Fifi besitzt im Gegensatz zu Pippi auch kein ausgewachsenes Pferd, sondern ein kleines Pony. Durchschlagende Begründung von Hachette: Kein Kind kann ein Pferd tragen. Frau Lindgren sieht das auch so und fragt zurück: „Zeigt mir das französische Kind, das ein Pony tragen kann.“ Astrid Lindgren hat inzwischen die Konsequenzen aus den Clu-Clux-Clean-Machenschaften der Franzosen gezogen. In einem Brief an Hachette schrieb sie unter anderem: „Pippi Langstrumpf ist in 60 Sprachen übersetzt worden, und bis auf die französischen Kinder haben alle anderen das Recht gehabt, das Buch halbwegs originalgetreu zu lesen. Da Ihr Verlag Kinderbücher offenbar nicht für richtige Literatur hält und solche Eingriffe vornimmt, kündige ich hiermit die Rechte und werde versuchen, einen Verlag zu finden, der Kinderliteratur ernst nimmt.“ Reinhard Wolff
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