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Archiv-Artikel

Asiatische Punks am Chiemsee

Lorenz Schröter, sturm- und reiseerprobt, schrieb einen Roman: „Das Buch der Liebe“

Ein neues Buch von Lorenz Schröter, einst Lorenz Lorenz genannt, dem Holger Hiller Münchens? Da kann man ja nicht anders als mit sogenannten Vorschusslorbeeren operieren.

Wer im deutschen Literaturbetrieb hat heute schon noch so hübsche, kunterbunte Puzzlebiografien wie dieser Waldorfschüler, der als „König von München“ in den Achtzigerjahren den ersten Punk-Kassettensampler und ein Fanzine mit dem Namen Die Einsamkeit des Amokläufers herausgab, der in Bands mit herrlichen Namen wie Alternative Arschlöcher, the Liebeskummers und Die Kleinen Strolche spielte? Wer in dieser Sphäre außer Lorenz Schröter hat es je gewagt, Rainald Goetz nicht toll zu finden und ihn in einem Text in der Spex des „Rückfalls in den Authentizitätsmythos“ zu bezichtigen? Wer nahm es je so ernst, das wilde, freie Leben jenseits jedes Establishments, und umradelte die Welt, lebte auf einer autofreien Insel vor Hongkong und unternahm 1998 eine Deutschlandreise auf dem Rücken eines Esels (Letzteres nachzulesen in seinem Buch „Mein Esel Bella oder Wie ich durch Deutschland zog“)?

Man ist also vorbereitet, wenn man das neue Buch von Lorenz Schröter aufschlägt: Dieser Autor geht auf die Fünfzig zu, aber es wird wohl bis in alle Ewigkeit ums Faszinosum des Reisens gehen – und natürlich um die Sprengkraft des Punk. Erzählt wird im „Buch der Liebe“ allerdings aus der Sicht eines Angestellten in einem Elektronikkonzern, der mit seiner Frau Steffi und zwei kaum erwachsenen und schon depressiven Kindern in einer Doppelhaushälfte in einem Vorort von München lebt. Bundesdeutscher Durchschnitt aus dem Bilderbuch, den der Autor wahrscheinlich vor allem aus Gründen der Fallhöhe so installiert hat.

Und schon sind wir beim großen Problem dieses ansonsten über weite Strecken unterhaltsamen Romans angelangt. Kramer, der natürlich dem ganz Anderen begegnet, der japanischen Punkmusikern Kimmi, ist durch und durch durchschnittlich und nicht nur langweilig als Typ, sondern auch als Romanfigur. Das Irre an der japanischen Punkband seiner Kimmi, die er fortan von Gig zu Gig durch ganz Deutschland chauffiert, mit der er vor einer Handvoll gewalttätiger Elvisimitatoren flüchtet, fränkische Brauereien besucht und den Grabstein des Erfinders der Levis: Sie erschließt sich nur uns, den Lesern, und Lorenz Schröter, dem Autor – eben all jenen, denen alternative Kulturen vor einem Vierteljahrhundert ähnlich blutig ernst waren wie jetzt diesen schrulligen Asiaten. Kramer dagegen, der Elektroniker, zieht vor allem deshalb mit, weil ihm Kimmi hin und wieder einen bläst.

Überhaupt: Dieses Geschlechterverhältnis! Sollte es sie wirklich geben, solche ratzekahl erbärmlichen, gebrochenen und desillusionierten Langweiler, die auch mal Andy heißen oder Helmut, die gern werkeln und joggen, deren Jugendrevolte sich aufs Frisieren von Mopeds beschränkte, die schöne Frauen „Engel mit großen Brüsten“ nennen und dem anderen „von Mann zu Mann“ die Schulter tätscheln, wenn sie erfahren, dass dieser die Ehefrau mit einer Jüngeren betrügt? Oder sind sie womöglich nur der Fantasielosigkeit des Lorenz Schröter entsprungen, der, wie man annehmen möchte, mit Milieus wie diesen niemals auch nur sporadisch in Berührung gekommen ist?

Schade eigentlich, denn Lorenz Schröter hätte sich ebenso gut dazu durchringen können, einen Helden auf Augenhöhe mit der verdrehten Kimmi durch Deutschland zu schicken. Womöglich wäre dann tatsächlich so etwas wie Reibungsenergie aufgekommen. Denn wer einmal mit asiatischen Punks am Chiemsee spazieren war oder sich auch nur vorstellen kann, wie es ist, mit asiatischen Punks am Chiemsee spazieren zu gehen: der weiß, dass so etwas den Blick auf unsere liebe, alte BRD gewaltig verdrehen kann.

SUSANNE MESSMER

Lorenz Schröter: „Das Buch der Liebe“. Kunstmann Verlag, München 2007, 188 Seiten, 16,90 Euro