Artforum und Co.: Neue Philosophie des Kunstmarkts
Neben dem Art Forum eröffnen an diesem Wochenende drei weitere Messen in Berlin. Der Kunstmarkt boomt weiter, Primär- und Sekundärmarkt vermischen sich.
Adrian Ghenie kann sich glücklich schätzen. Im Juli zeigte die Galerie Wohnmaschine die erste deutsche Einzelausstellung des jungen rumänischen Malers in Berlin. Doch auch andere Parteien sind an seinen düster-suggestiven Bildern interessiert. Die Galerie Haunch of Venison bezahlte Ghenie jüngst einen dreimonatigen Aufenthalt in der Hauptstadt. Auch James Coley kann zufrieden sein. Der Fotograf und Bildhauer ist für den renommierten britischen Turner-Preis nominiert. Damit er sich im heimischen Glasgow nicht langweilt, hat ihn Haunch of Venison ebenfalls nach Berlin eingeladen, zur Eröffnung der neuen Hauptstadt-Dependance im Kunstherbst, einfach so.
Haunch of Venison wohlgemerkt ist keine Stiftung, die Stipendien vergibt, kein Museum oder Kunstverein mit Atelierprogramm, sondern eine kommerzielle Galerie, eine der wichtigsten international. Ihre Gründer Harry Blain und Graham Southern kamen in der Liste der hundert wichtigsten Persönlichkeiten im Kunstbetrieb, die das Londoner Kunstmagazin Art Review jährlich erstellt, 2006 auf Platz 54. In der Bewertung für dieses Jahr dürften sie dank der François Pinault noch höher landen. Der französische Sammler steht an der Spitze der Liste. Er ist der Besitzer des Auktionshauses Christies und seit Februar auch von Haunch of Venison. In wenigen Schritten gelangt man so von Adrian Ghenie aus dem abgelegenen rumänischen Cluj und von James Coley aus dem fernen Schottland durch den Transitraum Berlin in das Machtzentrum des Kunstmarktes in London und New York, wo die Karrieren und das Geld gemacht werden. Nirgendwo kann man die Verwertungsketten im Kunstmarkt, die neuesten Entwicklungen und die tragikomische Rolle Berlins derzeit so gut beobachten.
Die Geschichte beginnt vor fünf Jahren, als Blain und Southern die Galerie mit den saftigen Namen ("Haunch of Venison" bedeutet "Rehkeule") aus der Taufe hoben. Dank Namen wie Bill Viola und Richard Long, Anton Henning und Wim Wenders, die sie repräsentieren, standen sie bald gut da - und dank ihrer guten Beziehungen in der Geschäftswelt. Graham Southern hatte von 1985 bis 2001 für Christies gearbeitet und das Geschäft mit zeitgenössischer Kunst im Auktionshaus aus der Taufe gehoben. Sein geschäftstüchtiger Partner Harry Blain will die gemeinsame neue Galerie 2002 zwar nicht mit dem expliziten Ziel gegründet haben, später einmal übernommen zu werden, aber er konzediert: "Ich habe nach Wegen gesucht, dieses Geschäft auf langfristige Weise besser zu machen." Das Gespräch mit Christies habe ergeben, dass die Visionen kompatibel seien. Welche Visionen? "Die beste Arbeit für die Künstler zu machen und ihnen die größtmögliche Unterstützung zu geben." Zum Beispiel mit der Förderung für Ghenie und Coley. Zehn Kuratoren, darunter ein früherer Mitarbeiter der Londoner Tate Galerie, kümmern sich bei Haunch of Venison ausschließlich um die Künstler. Die Hauptstadtfiliale in der Heidestraße hinter dem Hamburger Bahnhof hat kein Verkaufsteam, sondern versteht sich als Projekt- und Laborraum, als Schaufenster und Szene-Schnittstelle.
Doch diese Meriten gelten in den Augen vieler Kollegen wenig. Der 23. Februar, an dem Christies seinen Einsteig bei Haunch of Venison bekannt gab, war für sie ein Alarmschuss. Zum einen fürchtet man die neue finanzielle Stärke des Londoner Platzhirschen, der dank der Unterstützung des Auktionshauses nun noch rascher expandieren kann. Anfang nächsten Jahres ist die Eröffnung einer Filiale in New York geplant, die von einem weiteren früheren Christies-Experten, Barret White, geleitet wird. Zum anderen fürchtet man eine Verwischung der traditionellen Grenzen zwischen Primär- und Sekundärmarkt. Der Erstverkauf von Werken frisch aus der Künstlerwerkstatt ist das Kerngeschäft der Galeristen. Auktionshäuser dürfen nach der goldenen Regel erst beim Wiederverkauf der Werke, im sogenannten Sekundärmarkt, zum Zug kommen. Jetzt aber verkündet Christies dreist eine "Großoffensive, um in den Primärmarkt einzutreten und das weltweite Privatgeschäft mit Nachkriegs- und zeitgenössischer Kunst zu entwickeln." Die Differenzierung, Haunch of Venison werde weiterhin vollkommen unabhängig operieren und mit der Abwicklung privater Vermittlungen das Sekundärgeschäft des Auktionshauses lediglich ergänzen, beruhigte wenig. Die Angst also, dass zum Beispiel Arbeiten von Adrian Ghenie oder Nathan Coley demnächst direkt auf einer Auktion auftauchen und dort überzogene Preise erzielen könnten, die das Gefüge weiter verzerren, ging um.
"Viele Leute waren skeptisch. Ich glaube aber, dass sich das ändert. Unsere Kollegen sehen, dass sich Christies nicht einmischt, wir haben immer noch dasselbe Team, und wir ändern die Philosophie des Handelns nicht. Auf lange Sicht ist die Situation für alle gut. Wenn wir stark sind, profitieren auch andere. Wir schaffen Möglichkeiten für alle", sagt Blain. Auch der Berliner Kunsthändler und Vorsitzende des Galerien-Landesverbands, Werner Tammen, sieht die Konkurrenz gelassen: "Die bewegen sich in einem Elitärmarkt, der die meisten mittelständischen Galerien gar nicht berührt. Der stärkere Fokus kann vielleicht sogar positive Auswirkungen haben." Doch als Symptom für die jüngsten "sehr substanziellen Veränderungen" auf dem Kunstmarkt müsse man das Thema kritisch beobachten. In China ist es laut Tammen bereits üblich, dass Auktionshäuser direkt Künstler aufbauen und verkaufen. Diese Häuser seien im Bewusstsein der aktuellen Nachfrage "sehr pushy". Mit Erfolg: Überall taucht derzeit chinesische Gegenwartskunst massiv auf, nicht zuletzt in den Herbstauktionen von Christies und Sothebys parallel zu der Frieze-Kunstmesse Mitte Oktober in London.
Die Angst also, dass ein Ghenie oder Coley plötzlich direkt auf einer Auktion auftauchen könnte, entpuppt sich als zu schlicht. Die Vermischung von Primär- und Sekundärmarkt geschieht auf subtilere Weise und war auch im Westen vor dem Blain-Pinault-Deal längst im Gange. Der New Yorker Gallerist Jeffrey Deitch hat es dem Magazin artnet zufolge einmal so erklärt hat: Für jeden siegreichen Bieter bei einer Auktion gibt es einen unterlegenen Bieter, der bereit ist, beinahe ebenso viel zu zahlen. Alles, was das Auktionshaus benötigt, ist einen scharfsichtigen Kunsthändler, der mit diesem frustrierten Käufer etwas machen kann, um die Gewinne praktisch zu verdoppeln. Das ist das Wesen der "privaten Vermittlungen" oder "backroom sales", wie es auf Englisch treffend heißt: das Geschäft im Hinterzimmer. Ob die Ladentheke nach vorn heraus dem Galeristen oder dem Auktionshaus gehört, ist dabei letztlich egal. Der Sektor wächst so oder so. Deitch, die Nr. 40 im Art-Review-Ranking, war seinerseits in den Neunzigerjahren übrigens eine Liaison mit Christies Erzrivalen Sothebys eingegangen, die Berichten zufolge aber still zu Grabe getragen wurde. Im Telefoninterview lehnte der Galerist jeden Kommentar ab, Sothebys ließ wiederholte Anfragen unbeantwortet.
Haunch of Venison machte nach Blains Angaben allein in der ersten Hälfte 2007 mehr Geschäfte als im gesamten Jahr 2006, als die Galerie rund 71 Millionen Euro (100 Millionen Dollar) umgesetzt habe. Und das ist ohne das Geschäft der Privatvermittlungen für Christies gerechnet, das Blain nun zusätzlich exklusiv betreibt - 2006 hatte das Auktionshaus mit diesem Zweig 181 Millionen Euro (256 Millionen Dollar) umgesetzt. Ist also das Engagement für Künstler wie Ghenie und Coley nur ein Vorwand, um die große Gelddruckmaschine anzuwerfen und die angeblichen "Visionen" pure Makulatur? Auch dies wäre zu kurz und schlicht gedacht.
"Es gibt immer mehr private Galerien, Unternehmen, Sammler oder Stifter, die mit festen oder freien Kuratoren Ausstellungen machen und damit Diskurshoheit bekommen", sagt der Künstler und artnet-Chefredakteur Thomas W. Eller. Steht am anderen Extrem eine öffentlich finanzierte Ausstellung wie die documenta 12, die eine radikale Verweigerungsgeste sowohl gegenüber dem Markt als auch zum herkömmlichen Ausstellungsbetrieb pflegt, entstehe der Eindruck, dass die privaten den öffentlichen Institutionen "den Job weg nehmen", wie Werner Tammen sagt. In Berlin etwa habe jüngst eine Reihe privater Schauräume eröffnet, während die staatlichen Museen das Geld und Personal fehle, um zeitgenössische Kunst breit zu präsentieren. "Später wird es so aussehen, als hätte diese Zeit in Berlin nicht stattgefunden, weil nichts erworben wurde", so Tammen. Dafür macht vielleicht in ein paar Jahren ein Privatverein auf, um die Bestände eines Sammlers und früheren Galeristen zu zeigen, der sich auf die junge deutsche und internationale Kunst im frühen 21. Jahrhundert konzentriert hat, so wie jetzt die nichtkommerzielle Galerie "El Sourdog Hex", die in der Zimmerstraße hochkarätige Ausstellungen zu Bernd Koberling, Roberto Matta, Claes Oldenburg, Lawence Weiner und Markus Lüpertz zeigt. Das ist das Tragikomische am Kunststandort Berlin: Er ist wunderbar für die künstlerische Produktion, die Galeristen und Sammler abschöpfen können - in den Institutionen der Stadt bleibt wenig hängen.
Man könnte die Geschichte also als Krise der Institutionen lesen, die an Definitionshoheit und Stützfunktion verlieren, während der Markt die Lücke füllt - ohne dass die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hätte. Für Eller greift diese Lesart zu kurz. "Ich halte die Entwicklung für ein Indiz der zunehmenden Vernischung in der Kunst ähnlich wie in der Musik. Dort gibt es inzwischen zahlreiche Szenen, die sich einfach nicht mehr berühren, Klassik, Pop usw.", sagt er. Die öffentlichen Institutionen dürften sich aber auch nach dieser Analyse nicht zurücklehnen. "Früher galten die Museen als die großen Vermittler. Jetzt sind die Kategorien unklar und strittig. Die Museen müssen ihr Profil schärfen", fordert Eller. Was jüngeren Künstlern wie Ghenie und Coley wie eine paradiesische Lage vorkommen könnte, hat für den erfahrenen Eller nämlich einen entscheidenden Haken: "Ich mag als Künstler heutzutage alle Möglichkeiten haben, aber ich weiß nicht mehr, mit welchem Publikum ich eigentlich kommuniziere."
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