: Kindeswohl? Aber nicht übertreiben!
PÄDAGOGIK Schleswig-Holsteins Sozialministerium arbeitet seit über einem Jahr an einer Verordnung, die Kinder und Jugendliche in Heimen besser schützen soll. Den Entwurf erwiderten die betroffenen Verbände mit einem geharnischten Rechtsgutachten
Bremen hat 2008 Richtlinien zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen erlassen.
■ Die Bewegungsfreiheit ist demnach alters- und entwicklungsgerecht zu respektieren. Einschränkende pädagogische Maßnahmen sind nur im nötigen Ausmaß und zeitlich begrenzt zulässig.
■ Ein Recht auf Umgang mit ihren Eltern, Großeltern und Geschwistern haben Minderjährige. Dieser persönliche Umgang, genauso auch Briefverkehr mit bestimmten Personen, kann nur mit Zustimmung des Familiengerichts unterbunden werden.
■ Unzulässig sind körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen, entwürdigende Maßnahmen.
■ Keine Lappalie: Bremer Heimkinder haben abschließbare Schränke.
VON KAIJA KUTTER
Durch die Affäre um die Friesenhof-Jugendheime steht sie gehörig unter Druck. Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) lässt in ihrem Haus schon seit geraumer Zeit an einer Schutzverordnung für Heiminsassen arbeiten. Die allerdings stößt offenbar auf Widerstand: Der taz liegt der Entwurf für die Verordnung vor – und ein Rechtsgutachten, das die Heimverbände dem Landesjugendamt vorlegten. Geht es nach seinem Verfasser, sind etliche der 24 Verordnungs-Paragrafen rechtswidrig, weil sie zu weit gehen.
Die Landesverordnung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen (KJVO) soll eine ausgesprochen knappe „Heimrichtlinie“ aus dem Jahr 1996 ersetzen. In dem neuen Entwurf, Stand: Mai 2014, sind dagegen konkrete Standards festgelegt: Personalschlüssel, Fachkräfteanteil, Gruppen- und Zimmergrößen. So soll ein Einzelzimmer im Heim mindestens neun Quadratmeter groß sein, ein Doppelzimmer 18 Quadratmeter.
„Die Mindestgröße von 18 qm für ein Doppelzimmer halten wir für zu groß“, heißt es nun in dem Rechtsgutachten, das die Heimverbände beauftragt haben: Ein Kind, dass in der elterlichen Wohnung im Sieben-Quadratmeter-Zimmer lebe, gelte ja auch nicht als gefährdet. Die Heimaufsicht habe nicht bestmögliche Bedingungen herzustellen, sondern Mindestanforderungen zu formulieren, die das Kindeswohl sicherstellen, heißt es – „gerade so eben“.
Weil die Verordnung ein Eingriff in das Recht der Träger auf freie Berufsausübung sei, müsse die Heimaufsicht „verhältnismäßig“ vorgehen und stets das „mildeste Mittel“ wählen. So sei es nicht erforderlich, dass Einrichtungen für Kinder ein ausreichendes Freigelände mit altersgerechten Spielgeräten haben. „Spielgeräte sind nicht konstituierend für das Kindeswohl.“
Hohe Brisanz hat Paragraf 8 des KJVO-Entwurfs über „Rechte der Minderjährigen“: In den Häusern des Friesehofs herrschte unter anderem Kontaktverbot, Kommunikation per Brief oder Telefon wurde kontrolliert. Der persönliche Umgang oder auch Briefverkehr mit bestimmten Personen dürfe „nur nach Zustimmung durch das Familiengericht unterbunden werden“, so steht es nun im Entwurf. Der Verbandsgutachter hält dagegen: Sei es denn nicht auch Eltern erlaubt, ihren Kindern das Telefonieren zu verbieten? Demnach „ergibt sich nichts anderes, wenn solches mit Zustimmung der Sorgeberechtigten in einer Einrichtung geschieht“. Mütter ehemaliger Insassen haben der taz berichtet, solche Zustimmungen unterschrieben zu haben – aus Angst allerdings, anderenfalls das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren.
Die taz wollte von den Verbänden wissen, welchen Stellenwert die Expertise für sie hat. Über die KJVO wird im Landesjugendhilfeausschuss verhandelt. Der richtete eigens eine Arbeitsgruppe ein, an der neben freien Wohlfahrts- auch private Jugendhilfeverbände beteiligt sind. „Wir haben uns zusammen bei einem Anwalt erkundigt und um eine Einschätzung gebeten“, berichtet Klaus Tischler vom Verband privater Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (VPE). Die Expertise habe man dann „zur Information“ ans Landesjugendamt geleitet. „Zu dem Juristischen traue ich mich wenig zu sagen“, sagt Tischler. Dem VPE sei aber daran gelegen, dass die Heime kontrolliert werden.
Bei den Wohlfahrtsverbänden war der zuständige Ansprechpartner nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Ein Sprecher versicherte Ende der Vorwoche, an der Heimverordnung arbeite man natürlich aktiv mit.
Christian Kohl, Sprecher von Sozialministerin Ahlheit, bestätigt der taz, dass es den Entwurf sowie diverse Stellungnahmen gibt. Das eigene Papier werde „weiterentwickelt“, dabei wolle man auch Erkenntnisse einer bundesweit geführten Debatte berücksichtigen. Vielleicht reicht der Blick nach Bremen: Dort gibt es seit 2008 eine mit Alheits Entwurf fast identische Schutzrichtlinie.
Mitarbeit: Bela Rogalla