: Geschmackssache
SYMBOL Die feierliche Eröffnung der Matjessaison hat sich dieses Jahr um eine Woche verschoben – die Wassertemperaturen vor Schottland waren zu niedrig, deswegen gab es zu wenig Nahrung. Doch warum wird vom Matjes überhaupt so viel Aufhebens gemacht? ➤ Schwerpunkt SEITE 44,45
Er gehört zu Norddeutschland wie der Emmentaler zur Schweiz: der Matjeshering. Der fettige salzige Fisch wird traditionell im Mai oder Juni auf den Markt gebracht. Die Versteigerung des ersten Eichenfässchens, die den Saisonbeginn markiert, musste in diesem Jahr um eine Woche verschoben werden. Die Fische hatten wegen der niedrigen Wassertemperaturen nicht genügend Zeit, sich fett zu fressen, und nur ein fetter Matjes ist ein guter Matjes.
Der Begriff „Matjes“ leitet sich aus dem Niederländischen ab. Zu Matjes werden nicht geschlechtsreife Heringe verarbeitet. In den Niederlanden heißen sie deshalb „maagdenharing“, was übersetzt so etwas wie Jungfernhering heißt.
Der Legende nach soll ein holländische Fischer namens Wilhelm oder Jan Pieter Beukelzoon 1395 auf die Idee gekommen sein, den Heringen den Hals aufzuschneiden und ihnen alle Eingeweide bis auf die Bauchspeicheldrüse zu entnehmen. Dann schmiss er die Fische in Fässer mit Salzlake, in der sie nach Hause transportiert werden konnten, ohne zu verderben. Während des Transports „reifte“ der Fisch durch die Enzyme aus der Bauchspeicheldrüse. Nach einer Woche hatten die Fische, rechtzeitig zum Verkauf, den Schmelz, der den Matjeshering zum Genuss macht.
Um die besondere Konsistenz eines Matjes zu erreichen, müssen die Fische einen Mindestfettgehalt erreichen – die Holländer sagen 16 Prozent. Das wiederum macht den echten Matjes vollends zum Naturprodukt, denn er kann ja nur fressen, was er im Meer findet. Dass er in diesem Jahr nicht so schnell fett wurde, wie erwartet, liegt an den ungewöhnlich niedrigen Wassertemperaturen in diesem Frühjahr vor Schottland.
Der Hering ernährt sich von Zooplankton, im Meer treibenden Kleinstlebewesen – vor allem Krebsen. Wie viele es davon in einem Seegebiet gibt, hängt von den Meeresströmungen, der Wassertemperatur und der Nahrung der Krebse, dem pflanzlichen Plankton, ab. Dass es Matjes im späten Frühjahr gibt, liegt also zum einen daran, dass die Meeresalgen genug Licht gehabt haben müssen, zum andern aber am biologischen Zyklus des Herings.
„Jungfräulich“ meint bei Heringen nicht, dass sie noch nie gelaicht hätten, sondern bloß, dass sie in der laufenden Saison noch keinen Rogen und keine „Milch“ (Samen) gebildet haben. „Die haben noch nichts in ihre Reproduktion investiert“, sagt Norbert Rohlf vom Johann Heinrich-von-Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg. Die überschüssigen Kalorien, die die Fische bei ihrem Fressfest aufnehmen, wandern ins Fettpolster. Baby-Heringe dürfen aus Gründen der Bestandserhaltung gar nicht gefangen werden, sondern lediglich junge Heringe, die schon ein paar Jahre alt sind.
Zu Saisonbeginn machen die Fischer Probefänge, bei denen der Fettgehalt gemessen wird. Rohlfs Kollege Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock weist darauf hin, dass die Fischer dabei unterschiedlich nachhaltige Methoden anwenden. So bringe die Ringwadenfischerei den Fang erst nach einer positiven Analyse an Bord und lasse ihn wieder frei, wenn er nicht die gewünschten Parameter aufweise. Hierbei führt der Kutter ein Netz um den Schwarm und zieht es von unten zu. Es werde angenommen, dass dabei wenige Fische umkommen, sagt Zimmermann. „Aber so ganz genau weiß man das nicht.“
Bei der Schleppnetzfischerei, wo der Kutter das Netz wie einen Sack hinter sich herzieht, könne dagegen keine Probe gezogen werden, sagt der Rostocker Fischerei-Experte Zimmermann. Der Fang müsse hinterher ganz verwertet werden, auch wenn die Fische nicht fett genug seien und viel weniger Geld brächten. GERNOT KNÖDLER