Interreligiosität wie geschnitten Brötchen

DIALOG Wie leben Christen und Muslime zusammen? Das wird auf dem Kirchentag viel diskutiert – und nebenbei einfach gelebt

VON LAILA OUDRAY
UND DARYNA STERINA

„Liebe für alle. Hass für niemanden“ steht auf dem Rücken eines jungen Mannes, der gerade einem blonden Mädchen ein Brötchen aufschneidet. Dankend nimmt sie es entgegen. Sie übernachtet mit ihrer Jugendgruppe in den Klassenzimmern der Rappach-Realschule. Um die Betreuung kümmern sich sogenannte Quartiermeister. Dieses Jahr sind das Muslime der muslimische Ahmadiyya-Gemeinde Stuttgart. Es ist das erste Mal, dass auf einem Kirchentag Muslime Quartiermeister sind.

Die evangelischen Gäste applaudieren, als sie bei ihrer Ankunft erfahren, dass sie von Muslimen umsorgt werden. „Im Islam ist Gastfreundschaft ein wichtiges Gut. Wir folgen nur den Geboten unserer Religion“, sagt Kamal Ahmad, der Organisator.

Während er in der Schule einen Rundgang macht, grüßt er die Jugendlichen. Er ist freundlich, aber auch gestresst. Momentan bekommt er täglich Anrufe von Journalisten. „Wir kennen doch das Image des Islam. Da ist unsere Geschichte natürlich Gold wert“, sagt er.

Dass der Islam ein schlechtes Image hat, glaubt auch Naima Hatet: „Wir wollen Menschen, die Angst vor dem Islam haben, zeigen, dass wir genauso sind wie alle, nur eben mit einer anderen Religion“, sagt die Vizevorsitzende des Bundes muslimischer Pfadfinder Deutschlands.

Schon das zweite Mal helfen sie bei einem Evangelischen Kirchentag. Sie sind Betreuer beim Mittagsgebet der Religionen, das gerade beginnt. Der Saal füllt sich, während eine Frau und zwei Männer auf der Bühne auf Arabisch singen. Danach tritt die Moderatorin ans Rednerpult. Sie spricht von Vertrauen, Verbundenheit, Verschiedenheit und davon, dass man heute auf eine „für uns nicht ganz so gewohnte Weise“ beten soll. Nacheinander beten ein lutherischer Pfarrer, ein Scheich aus Algerien, eine Katholikin, ein Rabbi und der Vertreter des Bundes muslimischer Pfadfinder Deutschlands. Manche im Publikum beten mit, andere blicken gelangweilt zur Seite.

Im Anschluss an das Gebet bleibt kein Raum für Austausch. Die Redner versuchen, mit ihren Texten ein Gefühl der Einheit zu schaffen. Kontroverse Sichtweisen gibt es nicht. Dabei braucht es Diskurs und Diskussion auf der öffentliche Bühne, denn das friedliche Zusammenleben findet bereits statt, wie Kamal Ahmads und Naima Hatets Einsatz zeigt.

Trotzdem hält Ahmad eine solche öffentliche Auseinandersetzung für wichtig, nur Aufklärung helfe gegen Vorurteile. Er selbst erinnert sich an einen Vorfall, als er an einer Diskussion teilnahm und seine Religion erklärte. Im Anschluss näherte sich ihm ein Mann, der zugab, vieles über den Islam nicht gewusst zu haben. Er war Autor für das rechtskonservative Internetportal pi-news. „Wenn man diese Leute aufklären kann, kann man alle aufklären“, sagt Ahmad lächelnd.