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Archiv-Artikel

Lass die Sau raus!

CRASH, BOOM, BANG Wunderbar sinnfrei und nebenbei auch einigermaßen anstrengend: In Berlins erstem Wutraum in Lichtenberg darf man – gegen Geld – seinen Gewaltfantasien freien Lauf lassen. Bei Frauen könnten Scheidungspartys ein Trend werden

Wir sind zu dritt, richtig wütend von uns ist zu Beginn eigentlich niemand, aber so wie der Appetit beim Essen kommt, steigert sich die Lust, alles zu zerlegen, beim Zerlegen

VON ANDREAS HARTMANN

Der kleine Raum in einem Lichtenberger Hinterhof ist adrett eingerichtet: zwei Sessel, ein Schrank, ein kleiner Stehtisch und ein paar Teller. „Habt ihr eigene Musik mit dabei?“, wird man gefragt, bevor man den Raum betritt. Haben wir nicht – was den Vorteil hat, dass man besser hören kann, wenn die Möbel zersplittern, die man gleich mit Axt und Golfschläger bearbeiten darf. Wir ziehen einen Schutzanzug und einen Helm an und legen los. Anfangs hat man noch ein paar Hemmungen, doch das legt sich schnell: Irgendwann haut man mit großer Lust die gesamte Einrichtung zu Klump.

Der Korbsessel nervt

Willkommen in Berlins erstem Wutraum. Wer um die 100 Euro hinlegt, darf hier mit Baseballschläger, Brecheisen und was es sonst noch so an zerstörungsdienlichem Werkzeug gibt, das Mobiliar eines wohnzimmerartig eingerichteten Raumes kurz und klein hauen. Wir sind zu dritt, richtig wütend von uns ist zu Beginn eigentlich niemand, aber so wie der Appetit beim Essen kommt, steigert sich die Lust, alles zu zerlegen, beim Zerlegen. Super zum Zertrümmern eignet sich der Schrank. Schön ran mit der Axt an das Holz, damit macht man aus dem Möbelstück schnell Brennholz. Fein auch die Teller: Drauf mit dem Baseballschläger, und zurück bleibt nichts als Scherben. Der Korbsessel dagegen nervt, weil er einfach nicht kaputtgehen will. Von Korbsesseln in Wuträumen sollte man also in Zukunft absehen.

Das bizarre Freizeitvergnügen wird in passender Umgebung angeboten. In einer Art Park der skurrilen Geschäftsideen befindet man sich hier in dieser Ecke Lichtenbergs. Gleich nebenan gibt es Berlins einzige Anlage für Paddel-Tennis, eine Mischung aus Tennis und Squash, die hierzulande noch weitgehend unbekannt ist. Weiter hinten finden sich die Geschäftsräume eines Trabbi-Verleihs, und dort, direkt vor der Graffiti-Wand, die sich an seinen Wutraum anschließt, sei erst vor Kurzem ein Porno in freier Natur gedreht worden, erklärt Wutraum-Betreiber Christian Block, nicht ohne Stolz.

Er, eher zurückhaltend und definitiv nicht so wirkend, als müsse er sich regelmäßig im eigenen Wutraum austoben, erklärt, er sei einfach auf der Suche nach einer Geschäftsidee gewesen und dabei zufällig auf eine Dokumentation über Deutschlands ersten Wutraum gestoßen, der im August vergangenen Jahres in Halle eröffnet wurde.

Schnell habe er ein wenig herumrecherchiert und festgestellt: Alles klar, so etwas gibt es tatsächlich in Berlin noch nicht. Drei Wochen später wurde die Räumlichkeit direkt neben den Trabbis und der Pornodrehkulisse in Lichtenberg gefunden, und damit konnte es auch gleich losgehen. Ein paar alte Möbel und eine Axt, mehr braucht man eigentlich nicht. Und so hat seit Mitte März endlich auch Berlin seinen Wutraum.

Schwer zu sagen, warum die Wuträume gerade jetzt nach Deutschland kommen. In Dallas, Texas, USA, gibt es schon seit Jahren das Angebot, eine halbe Stunde lang mal so richtig die Sau rauslassen zu dürfen. Dann kamen Wuträume nach Europa, in das serbische Novi Sad, wo man schon für ein paar Euro ein paar Möbelstücke zerlegen kann, und nach Budapest. Jetzt endlich geht es auch hierzulande los, dafür aber gleich richtig. München hat schon einen Wutraum, und der geplante in Nürnberg hat bereits eine Facebook-Seite. Verwüstungsorgien: der neue Trend in Deutschland?

Wütende Hausfrauen

Dabei ist Kaputthauen nicht gleich Kaputthauen. In Budapest werden im Wutraum Themenschwerpunkte wie „Wütende Hausfrauen“ angeboten, wo besonders viel Geschirr zerdeppert werden kann; in München kann sich der Kunde ein Büro wünschen, das aussieht wie bei „Stromberg“, mit Drucker und allem Drum und Dran. Dann lässt sich schön authentisch der Hass auf den eigenen traurigen Arbeitsalltag ausleben. Oder man kann sich beim ersten Date zum gemeinsamen Zerlegen von Fernseher, Couch und Schrankwand verabreden. Gemeinsam sinnlos rumwüten, das verbindet, so die Idee der Münchner.

In Berlin geht es da vergleichsweise unspektakulär zu. Christian Block ist zwar offen für alles, kann sich das Möbel-Zerhacken auch als Teambuildingworkshop für Firmen vorstellen und glaubt, dass Scheidungspartys der eindeutige Trend in seinem Wutraum werden. Eine hatte er bereits: Eine Frau brachte persönliche Gegenstände mit, die sie mit dem eben geschiedenen Ex-Ehemann verband, und zerlegte alles gemeinsam mit ihrer besten Freundin. Wüten als Exorzismus also. Dass Frauen die Scheidungsparty veranstalteten, hält Block keineswegs für einen Zufall. „Ungefähr 80 Prozent meiner Kunden sind Frauen“, erklärt er, „die meisten bekommen eine Session bei mir von ihren Männern geschenkt.“

Mehr thematisches Wüten ist auch bei Block geplant. In naher Zukunft. Vielleicht auch mal was mit Autos – man könnte etwa einen Kleinwagen zerlegen. Schwer zu sagen, ob das dann auch wieder vor allem ein Fall für Frauen sein würde.

Das Wüten macht durchaus Spaß, und das soll so ein Besuch im Wutraum ja letztlich auch bringen: weniger ernsthaft Stressabbau als vielmehr reines Vergnügen, einen „Kontrollverlust, den man sich in unserer sonst sehr kontrollierten Gesellschaft nicht leisten darf“, wie Block das beschreibt. Das Zerstören ist wunderbar sinnfrei und nebenbei auch einigermaßen anstrengend: Zimmer zerlegen als Work-out. Nach 20 Minuten haben wir zu dritt fast die komplette Einrichtung kaputt gehauen. Christian Block ist zufrieden mit uns, auch wenn er jetzt alles aufräumen und entsorgen darf.

www.crash-room.de