piwik no script img

Archiv-Artikel

DIE, DIE ETWAS SCHAFFEN, SIND DIE ARBEITGEBER. IHNEN MÜSSEN WIR DANKBAR SEIN. STREIKEN DAGEGEN IST UNDANKBAR Geben und nehmen

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Chinesischer Kranhersteller schafft 100 Jobs“, heißt es im NDR. Und das ist ja tatsächliche eine erfreuliche Nachricht, dass ein großes Unternehmen wie der chinesische Kranhersteller Zenhua Port Machinery Company, Marktführer für Containerbrücken, seine Europazentrale in Hamburg aufbauen will. Und eben 100 Jobs schaffen. Es ist immer eine erfreuliche Nachricht, wenn sich ein Unternehmen ansiedelt, das Arbeitsplätze schafft. Bürgermeister kleinerer Orte lassen sich viel einfallen, um Unternehmen in die Region zu locken, die Arbeitsplätze schaffen. Denn wenn Menschen da dann anfangen zu arbeiten, dann bleiben sie im Ort wohnen, haben ein Einkommen und kaufen ein. Alles Dinge, die für die Regionen wichtig sind, weil die Leute sonst vielleicht wegziehen oder jedenfalls kein Einkommen haben, sondern staatliche Hilfe brauchen und nicht richtig einkaufen können.

Richtig einkaufen zu können, ist eine der Hauptvoraussetzungen für ein Leben, das läuft. Chinesischer Kranhersteller schafft also 100 Jobs und wir freuen uns. Andersherum heißt es, wenn Firmen ihre Sitze schließen und ins Ausland verlegen, Jobs gehen verloren, und da freuen wir uns dann nicht. Was den Firmen egal sein kann, denn dort, wo sie den neuen Firmensitz aufbauen, lautet die Meldung dann wieder, Firma X schafft neue Jobs. Firma X ist in jedem Falle der Geber und der neue Angestellte oder Arbeiter ist der Nehmer. Deshalb heißt es ja auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Dass der, der arbeitet, irgendwie auch der ist, der gibt, nämlich seine Arbeit, dass sogar der, der arbeitet, der ist, der eigentlich einen Wert schafft, dass der die neue Firma aufbaut, dass der überhaupt alles schafft, was geschaffen wird, in jeder Gesellschaft, das wird sprachlich irgendwie nicht berücksichtigt.

Eine Freundin erzählte mir vor Kurzem, dass einer Kollegin in ihrer (größeren, internationalen) Firma, nach vielen Jahren, in denen sie immer nur befristete Arbeitsverträge hatte, endlich ein unbefristeter Arbeitsvertrag angeboten wurde. Als sie aber diesen Vertrag nicht auf der Stelle unterschrieb, sondern noch einige Fragen dazu hatte, wurde ihr die Option auf der Stelle wieder entzogen. Die Kollegin hatte einen akademischen Abschluss und sich in den Jahren als eine qualifizierte und zuverlässige Kraft erwiesen, eben deshalb sollte sie auch endlich einen vernünftigen Arbeitsvertrag bekommen, aber mucken sollte sie nicht. Mucken ist nicht erwünscht. Der Arbeitgeber gibt und der Arbeitnehmer nimmt.

Der Arbeitnehmer kann immerhin kündigen und dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft wegnehmen. Wenn er jung ist und gut ausgebildet, wenn er keine kleinen Kinder hat und wenn es in seinem Beruf einen gewissen Bedarf an Kräften wie ihm gibt. Wenn es einen Mangel gibt. Wenn es einen Mangel an mir gibt, kann ich über mich verhandeln. Wenn ich aber ausreichend vorhanden bin, wenn ich Massenware bin, muss ich froh sein.

Wir alle müssen froh sein, wenn ein chinesischer Kranhersteller hundert neue Arbeitsplätze schafft. Nicht der chinesische Kranhersteller muss froh sein, über die hundert qualifizierten Arbeitskräfte, die bereit sind, für ihn zu arbeiten. Wenn es sein muss, in befristeten Arbeitsverträgen. Wenn es nicht anders geht, auch unter Tarif. Wenn es gefragt ist, mit unbezahlten Überstunden. So ist das. So wird das gesehen. Streikt einer, Lokführer, Kindergärtnerin, Briefträgerin, ist das undankbar, denn andere, so höre ich das, arbeiten ja für noch weniger und nehmen noch mehr hin als die. Und streiken nicht.

Ein chinesischer Kranhersteller schafft hundert Jobs und wir sind den Schaffern dankbar für die Schaffung. Es gilt als kreativer Akt, wenn Firmen sich niederlassen und Arbeit verteilen wie Bonbons. Wir nehmen dankbar an. Wir bücken uns und beugen uns, wir sind nichts als Nehmende, die glücklich sind, endlich arbeiten zu dürfen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist in diesem Jahr bei Rowohlt Berlin erschienen.