: Rechter Sprengstoff
RAZZIEN Die Bundesanwaltschaft lässt vier Neonazis wegen Terrorverdachts festnehmen. Die Gruppe soll Anschläge geplant haben – und präsentierte sich offen bei Facebook
VON SABINE AM ORDE, KONRAD LITSCHKO UND ANDREAS SPEIT
BERLIN taz | Als hätten sie es geahnt. Über „Verhalten bei Hausdurchsuchungen“ informierte die „Oldschool Society“ (OSS) im Februar auf ihrer Facebookseite ihre Anhänger: „Keine Aussagen machen. Keine Gespräche mit den Beamten.“
Am Mittwoch standen tatsächlich die Ermittler vor der Tür – geschickt vom Generalbundesanwalt (GBA). 250 Beamte durchsuchten frühmorgens die Wohnungen von vier mutmaßlichen Rädelsführern der rechtsextremen Gruppe und fünf weiterer Beschuldigter in Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern. Die vier mutmaßlichen Anführer wurden festgenommen, gegen weitere OSS-Mitglieder wird ermittelt.
Der GBA wirft ihnen die Gründung einer „terroristischen Vereinigung“ vor. Die OSS soll „in kleineren Gruppierungen“ Anschläge auf „namhafte Salafisten, Moscheen und Asylbewerberunterkünfte“ geplant haben – womöglich schon am kommenden Wochenende. Dafür hätten die vier Hauptbeschuldigten, so die GBA, bereits „Sprengmittel“ beschafft. Auch bei den Razzien seien „pyrotechnische Gegenstände mit großer Sprengkraft“ gefunden worden.
Tatsächlich präsentierte sich die Gruppe im Internet martialisch – auf einer Facebookseite. Ihr Logo zeigt einen Totenkopf und zwei blutverschmierte Beile, dazu eine angedeutete SS-Rune. „Müde Parolen gehören der Vergangenheit an“, heißt es auf der Seite. Die Gruppe beschwert sich über vermeintliche Gewalttaten von Migranten, Flüchtlingen und Salafisten. Es brauche eine „Bürgerwehr“, schreibt sie, die umsetze, „wozu der Staat nicht mehr in der Lage ist“. An anderer Stelle steht: „Eine Kugel reicht nicht.“ Die Facebookseite hat viele Fans: Mehr als 3.000 mal wurde sie geliked.
Nicht sehr klandestin
Als Anführer der OSS gilt Andreas H., ein Bayer, der die Gruppe als „Präsident“ führte. Die GSG 9, eine Sondereinheit der Bundespolizei, nahm ihn in Augsburg fest. Der 56-Jährige soll Kontakte zur NPD haben, postete im Internet Bilder von Waffen und Schießübungen.
Der „Vizepräsident“ Markus W., 39, kommt aus Sachsen und fungierte auch als „Sicherheitsverantwortlicher“. Er soll bereits Mitglied der militanten, inzwischen verbotenen Kameradschaft Aachener Land aus Nordrhein-Westfalen gewesen sein. Offenbar entstammt die OSS dem Umfeld des rechten Netzwerks Hogesa (Hooligans gegen Salafisten). Im Oktober 2014 besuchten Mitglieder die Hogesa-Demonstration in Köln, die gewaltsam endete. Auch im jetzigen März beteiligten sie sich an einem Hogesa-Aufzug in Dortmund.
Dass sich zumindest einige der Männer der Gruppe seit Längerem kennen, macht ein Video von ihnen auf YouTube deutlich, das im Januar 2013 eingestellt wurde. Die Verfassungsschutzämter haben die OSS seit August vergangenen Jahres auf dem Radar, erfuhr die taz aus Sicherheitskreisen. Zunächst habe die OSS überwiegend im Netz kommuniziert. Offiziell gegründet hat sie sich im November 2014 im sächsischen Borna. Sachsen war Schwerpunkt der Gruppe, hier gab es am Mittwoch gleich mehrere Durchsuchungen.
Fraglich ist, wie konkret die Anschlagspläne der OSS waren. In der Öffentlichkeit war die Gruppe bis Mittwoch nahezu unbekannt. Auf ihrer Facebookseite allerdings posiert Anführer Andreas H. offen auf Fotos. Auch das erste Gruppentreffen wurde mit einer Bilderstrecke ins Internet gestellt. Acht tätowierte Kurzgeschorene, einige im fortgeschrittenen Alter, grinsen dort in die Kamera, dazu drei Frauen, allesamt in Szenekleidung.
Klandestiner Untergrund sieht anders aus. Der Rechtsextremismusexperte Hajo Funke warnt dennoch vor einer „gestiegenen Gewaltbereitschaft“ der rechten Szene. „Die Bereitschaft für gezielte Angriffe ist in den letzten Jahren gewachsen.“ Das belegten Anschläge auf Parteibüros und Flüchtlingsunterkünfte.
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), in dessen Bundesland es eine Razzia gab, lobte die „gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden“: „Wir handeln rechtzeitig und entschlossen gegen den braunen Sumpf.“ Ähnlich äußerte sich auch sein Kollege aus Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD). Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach von einem „bedeutenden Ermittlungserfolg“. Es sei „besorgniserregend“, dass eine solche Vereinigung „nach dem NSU aufscheint“. Die sächsische Innenexpertin der Linken, Kerstin Köditz, kritisierte den sächsischen Verfassungsschutz. Der erwähne die OSS trotz deren offenen Auftretens in seinem jüngsten Jahresbericht mit keinem Wort, auch keinerlei rechtsterroristischen Bestrebungen. „Das Versagen des Landesamtes in Bezug auf neonazistische terroristische Aktivitäten ist offenbar chronisch.“
Generalbundesanwalt Harald Range hatte noch zu Jahresende 2014 zugesagt, nach dem NSU-Fiasko den Rechtsterrorismus im Auge zu behalten. Seit Auffliegen des Neonazitrios ermittelte sein Haus laut Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage vom März in mehreren Verfahren, etwa gegen ein „Werwolf-Kommando“ oder eine selbsternannte „Neue Ordnung“. In keinem Fall, so das Fazit, habe sich der Verdacht einer terroristischen Vereinigung bestätigt.