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Archiv-Artikel

„Undeutsches Gequäke“

RUNDGANG Swing-Anhänger wurden in der NS-Zeit schikaniert, dabei war ihre Musik nicht verboten

Von REA
Elke Groenewold

■ 57, ist Historikerin mit Schwerpunkt hamburgische Geschichte und organisiert für das St. Pauli Archiv e. V. Stadtrundgänge.

taz: Frau Groenewold, wo haben sich Jugendliche während der NS-Zeit in Hamburg zum Swingtanzen getroffen?

Elke Groenewold: In erster Linie auf öffentlichen Plätzen, zum Beispiel bei Planten un Blomen. Da konnten sie mit Glück auch ihre Musik hören. Von dort sind sie dann in Richtung Reeperbahn losgezogen. Der beliebteste Treffpunkt war das Café Heinze am Millerntorplatz. Da gab es eine beleuchtete Tanzfläche, ganz was Schickes, aber es war auch relativ teuer.

Mussten die Jugendlichen ihre Musik nicht geheim halten?

Nein, Swing-Musik galt zwar als widerliches, undeutsches Gequäke, war aber nie verboten – im Gegensatz zum Swing-Tanz. Seit Kriegsbeginn gab es aber ohnehin ein Tanzverbot in der Öffentlichkeit. Das wurde nur bei Fronterfolgen aufgehoben.

Aber die Szene wurde doch trotzdem unterdrückt?

Ja, ab den 40er-Jahren gingen Hitler Jugend (HJ) und NS-Schergen immer rigider mit den Jugendlichen um. Sie wurden beschimpft, angegriffen und verhaftet. Ein alter Swingheini schilderte, dass sie bei der HJ antreten mussten. Seinem Freund wurden die langen Haare ins Gesicht gekämmt. Ein Foto davon wurde in einem Schaukasten in Eimsbüttel neben dem Foto eines HJ-Mitglieds ausgestellt. Darunter: „Nicht so, sondern so sieht ein deutscher Junge aus.“ Wenn alle Nachbarn das sehen, verletzt das.

Swingheini klingt aber ziemlich abwertend …

Ursprünglich ja. Die HJ hat die Swing-Anhänger Heinis genannt. Später hat die Szene diesen Begriff übernommen. Die hatten einen sehr eigenen Humor und Jargon. Sie „hingen ab“, haben „rumgedaddelt“ und manchmal „einen weggesteckt“.

War die Szene von Anfang an Hitler-kritisch?

Nein. Sie waren ursprünglich unpolitisch, wollten das Regime nicht stürzen, sondern nur irgendwo ihre Musik „abdaddeln“.

Hatten die Swing-Fans einen besonderen Look?

Ja, sie trugen weite Hosen, ein möglichst zweireihiges Jackett und „lange Peitschen“, also lange Haare. Die Kleidung war lässig, ein englischer Schick – gegen kurze Hosen und Marschmusik.

Ist von den Tanzlokalen, von denen Sie bei Ihrem Rundgang erzählen, noch etwas übrig?

Einige kleine Cafés auf der Strecke zwischen Millerntor und Hamburger Berg stehen noch. Ich zeige zahlreiche Fotos aus der Zeit, aber man braucht auch etwas Fantasie.  INTERVIEW: REA

Rundgang „Swingtanzen verboten!“: 16 Uhr, U-Bahn St. Pauli, Ausgang Reeperbahn, 9 Euro