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Archiv-Artikel

Täter kommen nicht vor

MEDIEN Wie sieben türkische Zeitungen im Jahr 2014 über den „angeblichen Völkermord“ an den Armeniern berichteten

VON ZEYNEP ARSLAN (ISTANBUL)

Hundert Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern ist die Haltung der Medien in der Türkei zu dem Thema ziemlich umstritten. Die Medien, die den Auftrag haben, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen und ihren Beitrag zur Diskussion zu leisten, indem sie verschiedene Standpunkte fair darstellen, sind weit davon entfernt, dies zu tun. Es ist auch sehr umstritten, ob die Medien in den letzten Jahren, in denen die Pressefreiheit stark eingeschränkt wurde, noch die Stärke haben, eine Plattform für die Diskussion über den Völkermord an den Armeniern zu bieten.

Als 2014 der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine Beileidserklärung an die Armenier veröffentlichte, kam die Diskussion über den Völkermord wieder auf die Tagesordnung. Nach dieser Botschaft wurde es äußerst wichtig, die Haltung der Medien zum Thema unter die Lupe zu nehmen.

Die Hrant Dink Stiftung führt seit 2009 ein Projekt zur „Beobachtung von Hate Speech in den Medien“ durch, das zum Ziel hat, Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen. Im Rahmen dieses Projekts werden die überregionale und regionale türkische Presse ausgewertet. Alle vier Monate werden Berichte vorgelegt.

Das Thema des Berichts für den Zeitraum Januar–April 2014 war der 24. April – der Gedenktag an den armenischen Völkermord. Für diesen Bericht wurden die Zeitungen Birgün, Habertürk, Hürriyet, Radikal, Sabah, Türkiye und Zaman ausgewertet. Als das Projekt begann, wussten wir nicht, dass sich die Berichterstattung aufgrund der Beileidserklärung von Erdogan, die das „gemeinsame Leid“ betonte, gegenüber den Vorjahren ändern würde. Wir stellten fest, dass die Anzahl der Nachrichten und Kolumnen zum Gedenktag in den betreffenden Zeitungen 2014 größer war als die Gesamtzahl der Artikel in den sieben Jahren davor. Seit 2007 hatten die Zeitungen 35 Artikel veröffentlicht, 2014 betrug allein die Anzahl der auf der Titelseite veröffentlichten Artikel 22. Man kann also sagen, dass durch die Veröffentlichung der Beileidserklärung Erdogans das Thema für die Presse an Nachrichtenwert gewann.

Auf der anderen Seite konnten wir durch die Analyse der verwendeten Wörter feststellen, dass Erdogan wieder der Hauptakteur war und den Gedenktag in den Schatten stellte. Während 2007–2013 der Name „Erdogan“ in den Überschriften überhaupt nicht auftaucht, wird er 2014 öfter verwendet als das Wort „Völkermord“.

Neben der Sprache spielen auch die visuellen Mittel für die Prägung der gesellschaftlichen Wahrnehmung eine große Rolle. Die Beileidserklärung wurde am 23. April, das heißt, am Tag der Nationalen Souveränität und des Kindes – einem Nationalfeiertag in der Türkei – veröffentlicht. Die Nachrichten zum Feiertag und zur Beileidserklärung wurden meist von einem Foto begleitet, auf dem Erdogan lächelt und einem Kind die Wange streichelt. Die Tatsache, dass dieses Foto neben der Beileidserklärung platziert wurde, erweckte den Eindruck, als wolle man betonen, dass die Regierung eine väterliche Haltung gegenüber den Armeniern einnähme.

Zweifelsohne ist es sehr umstritten, wie gesellschaftliche Traumata wie der Völkermord an den Armeniern zu bezeichnen sind. Wenn wir uns anschauen, wie die Opfer und die Täter benannt werden, erhalten wir interessante Erkenntnisse über das gesellschaftliche Gedächtnis in Bezug auf den Völkermord, ein Ereignis, das auf staatlicher Ebene immer noch nicht als Völkermord bezeichnet wird. In den analysierten Zeitungen wird der Völkermord am häufigsten mit der neutralen Bezeichnung „die Ereignisse von 1915“ oder mit der Wendung „angeblicher Völkermord“, welche die Leugnung betont (jeweils 53-mal) benannt. Das Wort „Völkermord“ wird 15-mal verwendet und das Wort „Umsiedlung“ 25-mal. Was die Opfer des Völkermords anbelangt, so werden in einem Drittel der Artikel die Opfer überhaupt nicht benannt. „Die ihr Leben verloren“, „Opfer“, „Armenier“ oder „armenische Banden“ sind die am häufigsten verwendeten Bezeichnungen. In 80 Prozent der Artikel kommen keine Täter vor! Es werden zumeist passive Satzkonstruktionen verwendet. Die Sprache erweckt den Eindruck, als wären die Ereignisse wie bei einer Naturkatastrophe von allein geschehen.

Angesichts dieser Ergebnisse können wir klar erkennen, dass die Art und Weise, wie der Völkermord in den Medien behandelt wird, durch die politische Macht und die tägliche Politik beeinflusst werden. Auch die politische Ausrichtung der jeweiligen Zeitungen wirken sich auf die Nachrichten aus, die über den Gedenktag erscheinen. Dieser wird nicht zum Anlass genommen, der Toten oder Überlebenden zu gedenken, sondern die Berichterstattung ist ein Mittel für die Austragung von politischen Auseinandersetzungen.

Auch in diesem Jahr werden seit Januar Diskussionen geführt, die daraus resultieren, dass der türkische Staatspräsident die Feierlichkeiten zum Gedenken an die Opfer der Schlacht von Gallipoli auf den 24. April verlegt hat. Diese Entscheidung zeigt, dass die Polarisierung zwischen den beiden Völkern weiter als politisches Instrument benutzt wird. Das beschränkt sich nicht nur auf die Haltung der AKP, die derzeit regiert, sondern ist die Fortsetzung einer seit hundert Jahren währenden Politik des Leugnens, des Schweigens und Verschleierns.