: Ist Sitzen das neue Rauchen?
BEWEGUNGSDIKTAT Apples Smartwatch motiviert zu mehr Aktivität. Sie zeigt an, wenn man sich nicht genug bewegt. Auch die Krankenkassen propagieren Gesundheitsapps und haben damit Zugang zu mehr Gesundheitsüberwachung
Die Streitfrage wird vorab online gestellt.
Immer dienstags. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der taz.am wochenende.
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Redaktion: Sarah Emminghaus, Markus Lücker, Stefan Simon, Tobias Hausdorf
Fotos: iStockvectors/ Getty (Figuren); Stephanie Bothor; Jutta Winkelmann; Chiropractic Leipzig; privat
Van Bo Le-Mentzel
Sechs, setzen. In der Grundschule wird unser Körper an eine der unmenschlichsten Körperhaltungen gewöhnt: still sitzen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Sitzen und Gehorchen. Deshalb bin ich für das Nichtsitzen. Für das Selberdenken. Arbeiten im Stehen, Gehen und Laufen. Doch wer sich nur deshalb bewegt, weil es jemand anders verlangt, ist derselbe Untertan, nur unter anderem Vorzeichen.
Van Bo Le-Mentzel, 38, ist Architekt und Entwickler der Hartz-IV-Möbel zum Selberbauen
Dieter Baumann
Sitzen ist nicht das neue Rauchen! Rauchen ist gesundheitsschädlich. Und der Gesetzgeber will die Menschen dazu bringen, dass sie aufhören. Nun versuchen Sie das mal aufs Sitzen zu übertragen: Überhaupt nicht mehr sitzen? Ein Albtraum wäre das. Es gibt nichts Schöneres, als nach einem Dauerlauf zu sitzen. Bewegung und Ruhe gehören sportphysiologisch zusammen.
Dieter Baumann, 50, ist Olympiasieger und erfolgreicher Langstreckenläufer in der deutschen Sportgeschichte
Rainer Langhans
Die zunehmende Virtualisierung unseres Lebens rückt den Körper aus dem Blick. Als Bewegungstier bekommt ihm das nicht. Müssen wir also gegensteuern, eher durch Nudging als durch Verbote? – Aber das ist ja auch wieder virtuell usf.
Rainer Langhans, 74, Autor, Filmemacher, Schauspieler, Mitglied der Kommune 1
Timo Kaschel
Ja, mit einem Unterschied: Sitzen schadet nicht den Menschen in ihrer Umgebung. Ansonsten gilt: Gegen Sitzen hilft nur Aufstehen. Inaktivität beendet derzeit ebenso viele Leben frühzeitig wie Rauchen. Unser Organismus ist auf Bewegung ausgelegt. Fitnesstracker wie die Apple Watch können einige motivieren, aktiver zu werden.
Timo Kaschel, 40, ist 1. Vorsitzender der Deutschen Chiropraktoren-Gesellschaft e. V.
Anja Hofmann
Meine Tochter lebt mit einer spastischen Behinderung. Sie braucht ein Therapierad; ich beantrage es bei der Krankenkasse. Rad fahren stärkt Koordination, Muskeln, Feinmotorik. Doch obwohl meine Tochter von Geburt an mit der Behinderung lebt, fordert die Kasse weiter Nachweise, ob denn Bedarf bestehe. Endlose Telefonate, unzählige Briefe folgen. Wie soll das dann mit so einer App funktionieren? Wie wollen Krankenkassen das stemmen, wenn die Bewilligung essentieller Hilfsmittel schon so eine Prozedur ist?
Anja Hofmann, 34, ist Innenarchitekturstudentin und hat die Streitfrage per E-Mail beantwortet