Wenn Film zur Software wird

Die Tagung „Zukunft Kino – The End of the Reel World“ fragte, was mit dem Film im Zeitalter seiner Digitalisierung geschieht

Gibt es noch einen Platz für das Kino – jenseits von Multiplex und Museum?

VON EKKEHARD KNÖRER

Digital ist besser? Das war eine der wichtigsten Fragen zur Zukunft des Kinos, die auf einer Tagung der Akademie der Künste verhandelt wurde. Nicht nur das, was man zu hören bekam, sondern auch das, was man sah, stimmte skeptisch. Ausgerechnet der Bildausfall nämlich wurde zum unfreiwilligen Leitmotiv. Immer wieder lief bei den Vorträgen die Kommunikation zwischen Laptop und Beamer ausgesprochen schlecht: Bilder waren nicht zu sehen, Rechner stürzten ab oder Videoclips froren ein – letzteres ein Dutzend Mal schätzungsweise im gemeinsamen Vortrag von Georg Seeßlen und Markus Metz.

Das war Pech, einerseits. Andererseits aber doch kein gutes Omen: Schließlich soll die Zukunft des Kinos ja in etwa so aussehen. Daten, die Filme sind, werden per Funk in Kinos übertragen und dort von sehr starken Beamern digital und hochaufgelöst auf Leinwände projiziert. Der Film ist längst auf dem Weg, Software zu werden – auf diese Formel brachte es Gundolf S. Freyermuth, der noch einmal an die entscheidenden Digitalisierungs-Schritte der Informationstechnologie erinnerte. Wenig originell waren seine Antworten auf die Frage, in welcher Gestalt sich das Software-Kino der Zukunft materialisiert: die Wiederkehr von 3-D (Rückkehr eines Kinos der Attraktionen), Opern-Live-Übertragungen (Kino ohne Filme), die weitere Perfektionierung der ohnehin schon weitreichenden Unsichtbarkeit digitaler Korrekturen. Was bei Dreharbeiten entsteht, ist so nicht mehr als Rohmaterial für Überarbeitungen aller Art. Im Grunde beginnt sogar schon in der Digitalkamera die Postproduktion.

Genuin digitale Bewegtbilder sind zunächst einmal nicht die Domäne des Kinos. Das digitale Bewegtbild als in Echtzeit berechnete Darstellung von virtuellen Wirklichkeiten ist vielmehr Sache des Videospiels. Und damit primär virtuelle Spielsache, nicht „realistische“ Abbildungssache. Um Kreuzungspunkte von Videospiel und Film ging es Doris Wehn und Martin Ganteföhr. Ganteföhr, der gefeierte Entwickler von Videospielen wie „House of Silence“ und „Overclocked“, mühte sich, das Niemandsland zwischen Autorschaft, Interaktivität, Kontrolle und Kontrollverlust zu kartografieren, in dem er sich als Videospiel-Macher bewegt. Die Medienwissenschaftlerin Doris Wehn gab eine materialreiche Einführung in das Hybridprodukt „Machinima“: Das sind digitale Filme, die Videospielen abgewonnen werden durch Eingriff in Programmcodes, durch Abfilmen, Schnitt und Sprach-Synchronisation. Aus dem Ego-Shooter- oder Rollenspiel wird so durch die Regie des Machinima-Produzenten ein Animationsfilm. Kostet fast nichts und bedeutet eine Digitalisierung von unten durch Ermächtigung des Nutzers. Ob das mit der Zukunft des Kinos im emphatischen Sinne etwas zu tun hat, ist allerdings eine andere Frage.

Wie die Digitalisierung von oben aussieht, war auf einem Panel von Praktikern zu erleben. Der erfolgreiche Filmproduzent Thomas Friedl („Die Welle“) sieht die Kino-Vorführung als das letzte analoge Glied in der sonst schon weitgehend geschlossenen digitalen Kette. Seine Vision vom Filmbetrieb der Zukunft ist offenkundig die reibungslose technische und monetäre Totalintegration aller beteiligten Instanzen. Kein Wunder, dass ihm das Wirken der Filmkritik (beziehungsweise der „Journaille“) als immer noch allzu widerständig und wenig serviceorientiert aufstößt. Zum Glück saß mit Torsten Frehse vom Verleih „Neue Visionen“ auch die Verkörperung nicht nur von Kunstverstand, sondern auch von Skepsis auf dem Podium. Das „Wettrüsten“ werde allen, nur ganz gewiss nicht den kleinen, mutigen Verleihern zugutekommen – vielmehr drängten die Digitalisierer als neue Konkurrenten mit eigenen Inhalten auf den Markt.

Das alternativ-reaktionäre Komplementärprogramm zum neoliberalen Marktvertrauen eines Thomas Friedl vertrat Matthias Elwardt vom Programmkino Abaton in Hamburg. Sein Plädoyer für ein Kino mit „Seele“ war durchaus als Symptom der Verspießerung zu nehmen, mit der der Arthouse-Bereich der Multiplex-Blockbuster-Welt derzeit gerne Paroli zu bieten sucht.

Wer das hörte, begriff auch, was Georg Seeßlen und Markus Metz mit ihrer stets wiederkehrenden Rede vom „Kunst- und Kuschelkino“ gemeint hatten. Ihr Vortrag war eine sehr dichte, stellenweise brillante tour d’horizon durch die Sozial- und Mediengeschichte des Kinozeitalters. Ihre Gegenwartsdiagnose fiel allerdings wenig optimistisch aus: Einerseits ist unser Leben, Stichwort „iconic turn“, zwar selbst durch und durch kinematografisch geworden. Es wird dabei aber, so Seeßlen und Metz, einer aufs Restlos zielenden kapitalistischen Bilder-Verwertungslogik unterworfenen. Das Kino selbst schottet sich – als hochbeschleunigter Blockbuster – in Multiplex-Betonburgen ab oder zieht sich – als entschleunigte Plansequenz-Kunst – in jene Nischen zurück, die sich ihm in den Museen eröffnen. Als Ort, der zugleich Fabrik und Zuhause war, als Ort, an dem sich die moderne Gesellschaft über die moderne Gesellschaft verständigte, hat das Kino ausgespielt.