Bildungspolitische Demonstration aus Pappe

In der Böttcherstraße gibt es erstmals eine strukturell angelegte Museumspädagogik. Roselius macht als Comic mit

Die Kinder bekommen Suchkarten: Wo sind die kleinen Monsterchen versteckt?

Ob Ludwig Roselius für die Rolle des netten Erzähl-Onkels taugt, kann man durchaus diskutieren. Schließlich charakterisiert den Erfinder des koffeinfreien Kaffee HAG nicht nur der mäzenatische Bau der Böttcherstraße samt Paula Modersohn-Becker-Museum. Sondern auch die Pflege völkisch-nationalistischen Gedankenguts sowie tatkräftige Unterstützung beim Niederschlagen der Bremer Räterepublik. Unbestreitbar positiv hingegen ist, dass die Kunstsammlungen Böttcherstraße nun ein umfangreiches museumspädagogisches Konzept entwickelt haben. Roselius dient dabei sowohl als Leit- und Begleitfigur so wie, gezeichnet von Sascha Jaeck, als logoähnliches Piktogramm.

Zu den museumspädagogischen Anstrengungen des Hauses gehört die Nutzung eines leer stehenden Ladenlokals in der Böttcherstraße und die Entwicklung eines Museumsführers für Kinder. In ihm nimmt Roselius die Nachwuchs-BesucherInnen sozusagen an die Hand, erzählt von seinen Sammelstücken und stellt Aufgaben.

Zum Beispiel können Kinder zählen, auf wie vielen Cranach-Gemälden – zur Sammlung gehört auch das berühmte Martin Luther-Bild – eine Schlange mit Fledermausflügeln zu finden ist und auf welchen Gemälden das Künstler-Signet Vogelgefieder trägt. Schon weiß man, was Lucas Cranach der Jüngere oder eben sein Vater, „der Ältere“, angefertigt hat.

Die rezeptorischen Anregungen gehen sowohl ins Detail als auch in die Tiefe: Corona Unger, bis vor kurzem wissenschaftliche Volontärin in der Böttcherstraße, hat viele ansprechende Zugänge zu Roselius höchst heterogener Sammlung gefunden. Vor allem konnte sie durchsetzen, was in den auratisch aufgeladenen Hallen des historischen Hauses bislang undenkbar schien: Neben den kostbaren Kunstwerken sind profane Pappschachteln an der Wand angebracht, die allerlei Erklärungs- und Bastelmaterial enthalten.

In der „gotischen Kapelle“, zu Füßen des Sankt Georg und in unmittelbarer Nachbarschaft zur hochheiligen Riemenschneider-Pietá finden die Kinder Buntstifte und Suchkarten: Wo sind die kleinen Monsterchen versteckt? Im Kirchengestühl aus dem 14. Jahrhundert. Dort hatte sie selbst Museumsdirektor Rainer Stamm noch nicht entdeckt.

Stamm freut sich insbesondere darüber, dass die Erlebnis-orientierte Museumstour ebenso gut im Paula Modersohn-Becker-Haus gestartet werden kann. Inhaltliche Verbindungen zwischen den kunsthistorisch extrem auseinander driftenden Teilen der Böttcherstraße zu schaffen ist ein althergebrachtes Problem seiner Institution. Frühere Lösungsansätze, die Schätze des Roselius-Hauses in den Verantwortungsbereich des Focke-Museum zu überführen, scheiterten unter anderem am Widerstand der dortigen Direktion.

Noch immer sind die Kunstsammlungen Böttcherstraße weit davon entfernt, sich eine hauptamtliche museumspädagogische Kraft leisten zu können. Auch die längerfristige Nutzung des Ladenlokals ist nicht gesichert. Gerade deswegen scheint es wichtig, dass man sich dazu durchringen konnte, im Ausstellungsbestand selbst unübersehbare Zeichen zu setzen. Auch wenn sie aus Pappe sind.

Henning Bleyl