: Kammergerichtslyrik
Damenpower
Starke Frauen hat das Land. Zumindest im Kammergericht am Kleistpark in Schöneberg. Das höchste Berliner Gericht für Strafsachen und Ziviles hat eine weibliche Doppelspitze. Die Präsidentin, eine adrette Blondine, und ihre Vize, eine schlanke Dunkelblonde, bilden ein harmonisches Ausbund on the Rocks: sachliche Kompetenz ohne Gockelhaftigkeit. Präsidentin Monika Nöhre, 57, hat als Hamburgerin zudem dieses hanseatisch-feminine Flair, das schon der Designerin Jil Sander Ansehen brachte, mit dem Männer jedoch nicht immer zurecht kommen: charmant, aber distinguiert.
Bei der jüngsten Vorstellung des Jahrestätigkeitsberichts vor der Presse spielte Frau Nöhre den Trumpf ihrer Erscheinung mädchenhaft aus: Sie ging reihum und schüttelte allen Anwesenden zur Begrüßung artig, warm und weich die Hand. Dass die höchste Juristin der Stadt so freundlich ist, macht stutzen. Dass sie zig Urteile und Vergleiche aus dem Stand zu kommentieren weiß, verwundert weniger. Eine Frau so weit oben muss topfit sein. Das Kammergericht, ältestes tätiges deutsches Gericht und schon vor 540 Jahren urkundlich erwähnt, hat zudem eine Damentradition. So wurde eine gewisse Edith Pinzger, die 1933 ihr Examen machte, aber die Nazizeit ohne Staatsdienst und antisemitische Befleckung überstand, 1949 hier Kammergerichtsrätin. Unerhört für jene Zeit.
Dass sich La Nöhre beim Pressetermin Zeit nimmt, an Pinzger zu erinnern, die im Januar im Alter von 100 Jahren starb, mag ein Indiz dafür sein, dass Frauen eben doch manches anders und gefühlvoller machen als die Kerle. Darauf einen „Moni on the Rocks“, Cynar mit Prosecco auf Eis – und Freispruch fürs Kammergericht! GISELA SONNENBURG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen