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Archiv-Artikel

Wenn die Tränen trocknenWas fehlt: Nürnberg

Schicksal Bundesliga: Der 1. FC Nürnberg steigt ab in die 2. Liga, der 1. FC Kaiserslautern darf dort bleiben. Wie überleben das die Fans des 1. FC Nürnberg? Und hält Kurt Beck nun wieder zu Lautern?

Flennende Männer. Weinende Frauen. Und nicht ganz so herzergreifend, aber lauter: wütende, besoffene Fans, die jeden derb beschimpften, der ihnen gerade übern Weg lief: Trainer, Spieler, Funktionäre – egal, irgendjemand muss ja schuld sein am siebten Bundesligaabstieg des 1. FC Nürnberg. Beim Blockieren des Mannschaftsbusses versuchten die Leute von der Abteilung Destruktiv im Anhang trauertrunken zu verdrängen, dass auch sie ihren Anteil am Abgang hatten.

Kurz: Dieser Samstag war mal wieder schrecklich für jene Menschen in Franken, die sich für Fußball interessieren. Also alle. Doch wenn sie ihren Kater ausgeschlafen haben, werden sie begreifen: Eigentlich ist alles in Ordnung. Genau so damisch-tragisch muss es sein. Nur deshalb weiß in Deutschland jeder: Wenn vom „Club“ geredet wird, ist nur dieser, unser Club gemeint.

Seltsam. Sagenhaft. Selbstzerstörerisch. Stets schwankend zwischen kindlicher Freude, wenn es gut läuft, und provinziellem Größenwahn. Und immer bereit, Negativrekorde aufzustellen. Die meisten entlassenen Trainer, die meisten Auswärtsniederlagen, die meisten bestochenen Schiedsrichter – und jetzt, ja, juhu, Rekordabsteiger! Ab in die zweite Liga – und das als amtierender Pokalsieger. Mit einer Mannschaft, die bundesweit für ihre Talente gelobt wurde. Mintal, Vittek, Pinola – viele tolle Techniker, die gerade noch gegen Lissabon im „Eurobbabogal“ spielten – und jetzt nach Ingolstadt und Wehen fahren müssen (wenn sie nicht verkauft werden). Ein Kunststück, das erst einmal übertroffen wurde: 1969, als der amtierende Deutsche Meister postwendend abstieg – der Club.

Nichts verkraftet dieser Verein so schlecht wie Erfolge. Dann schnappt er nach noch Höherem – und greift gnadenlos daneben. Nach dem Pokalsieg mussten große Namen her. Charisteas – ein Europameister! Koller– auch einmal Torjäger gewesen! Und als sie nicht trafen, feuerte der Präsident mit Hans Meyer den einzigen Trainer, der jemals mit Hintersinn auffiel. Der Format hatte. An diesem Tag ist der Club abgestiegen, nicht am Samstag.

Da war er wieder ganz bei sich. In Franken, wo man weiß, dass man ganz oben nichts zu suchen hat – und trotzdem glücklich ist. Denn will jemand tauschen? Mit Fürth, das nie aufsteigt? Mit Hertha, die immer Mittelmaß bleibt? Oder mit Bayern, die so oft siegen, dass sie sich nicht mehr freuen können?

Nein. Die Franken leiden gerne weiter. Nach dem Kater. LUKAS WALLRAFF

Was bleibt: Kaiserslautern und sein Klotz am Bein

Nun also haben sie es doch noch geschafft. Der 1. FC Kaiserslautern, schon lange nicht mehr erstklassig, bleibt nach seinem 3:0-Sieg gegen Köln einstweilen zweitklassig. Aus der 1. in die 2. Bundesliga abzusteigen, das ist ein wenig wie Sitzenbleiben. Kann passieren, halb so wild. Wer aber nicht einmal gegen Erzgebirge Aue besteht, tja, der kommt sozusagen auf die Sonderschule. Und dort, wohin Sponsorengelder höchstens tröpfchenweise hinabsickern, gibt es kein Geld mehr für fähiges Personal und mithin keine Rettung.

So richtig wichtig ist das nicht, von außen betrachtet. Anderswo schließen Handywerke, Werften und Kohlegruben. Auch in Kaiserslautern machten in den vergangenen Jahrzehnten schon Pfaff-Nähmaschinen, Stahlwerke und ganze Schuhindustrien dicht, ohne dass der Ort nennenswerte Schäden davongetragen hätte. Ohnehin sinkt die Einwohnerzahl in diesem strukturschwachen Gebiet seit Jahren. Erste Gemeinden streiten dafür, von Zahlungen für den „Aufbau Ost“ ausgenommen zu werden.

In einer solchen Landschaft war der „Betze“ eine Art sportliches Doping für die gedemütigte Volksseele und Ausweis für die eigene nationale, manchmal sogar internationale Relevanz. Ein Mundartgedicht bringt diesen Anspruch auf den Punkt, denn in der Pfalz, „do werd die Weltachs ingeschmeert/ un uffgebasst, dass nix passeert“.

Da störte es kaum, dass der Verein von betrügerischen Provinzgockeln geführt wurde. Kaum jemandem auch mochte auffallen, dass das für die WM noch einmal aufwändig aufgepumpte „Fritz-Walter-Stadion“ in Sachen Größenwahn einem Porsche Carrera glich, den sich ein hochverschuldeter Kleinganove vors noch nicht abbezahlte Reihenhäuschen stellt.

Und so war die Entfremdung der Kaiserslauterer zu ihrem ach so identitätsstiftenden Verein schon lange spürbar. Es begann mit dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), der sich so ganz allmählich mehr für den 1. FSV Mainz 05 interessierte. Und es endet mit dem Bürgermeister, Klaus Weichel, der im Focus bekannte, mit diesem Verein habe es seine „Stadt marketingmäßig verständlicherweise schwer“. Der Stolz Kaiserslauterns, er ist zu einem Klotz am Bein geworden. Bleibt nur noch die provinzielle Realität. Und die Weltachse, versteht sich. ARNO FRANK