: Hokuspokus im Fokus
Zwischen Dänemark und den Philippinen pendelt die Performerin Lilibeth Cuenca, die das Hybride in Reime und Musik packt. Im Haus der Kulturen der Welt eröffnet sie heute das Festival „In Transit“
Zum sechsten Mal lädt das Haus der Kulturen der Welt zum Performing-Arts-Festival „In Transit“ ein: Nahezu 100 internationale Künstler und Theoretiker sind eingeladen, in ihren Beiträgen die Voraussetzungen ihrer Arbeit und die Dynamiken in einer kapitalisierten Welt zu reflektieren. Lilibeth Cuenca wird dabei zur Eröffnung auftreten, nach Joan Jonas, einer Amerikanerin aus der Generation der Erfindung der feministischen Performance. Am 14. Juni gibt es einen Artist Talk mit Cuenca (16 Uhr), zum Abschluss des Festivals am 21. Juni ist sie mit „The Artist’s Songs“ (17 Uhr) dabei. Mehr Infos: www.hkw.de
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Mis United hat viele Facetten, das deutet ihr Name schon an. Aber jeder Facette fehlt auch etwas, nicht umsonst vermisst die Mis ein s. Anfangs steht sie auf ihrem sich drehenden Sockel, schwarz verhüllt, wie eine Skulptur. Erst wenn sie zu singen beginnt und die Arme in sehr stilisierten Gesten in die Höhe streckt, erinnern die dunklen Stoffmassen an eine Burka. „I’m a fish in a stream / My flexibility is extreme / A nomad with no destination / A person of pure contradiction“, haucht sie dunkel und geheimnisvoll. Dann besingt sie, nun schon mit bloßen Schultern, das nie gestillte Begehren, die Unruhe stiftenden Wünsche und beschwört anschließend in einem über und über mit Blumen benähten Kleid einen Liebeszauber: „Hokus, pokus, I wish I could hold my focus“. Fünfmal zaubert sie unter dem aktuellen Kostüm ein neues hervor, entwirft damit immer neue Identitäten und Strategien, versucht es mit Magie und Pillen, Anpassung und Materialismus. Aber jeder Strategie ist ihr Scheitern schon eingeschrieben, die hohen Kosten für die verführerischen Oberflächen.
Mit Mis United hat Lilibeth Cuenca eine Performance geschaffen, die zwar viele Verbindungslinien zu den klassischen feministischen Positionen von Künstlerinnen wie Marina Abramovic oder Yoko Ono aufweist und dennoch auch ganz anders ist: eingängiger, populärer, leichter zu verstehen. Stets musikgestützt und von reimenden Texten begleitet könnte man ihre Performances auch als weibliche Antwort auf die Überproduktion von Männlichkeit im Hiphop verstehen, zumal auch Lilibeth Cuenca in ihrem Spiel mit exotischen Klischees oft auf die Geschichte der Migration und einen bikulturellen Hintergrund eingeht. Als ich ihr diese Lesart vorschlage, findet sie das eher lustig: „Natürlich muss man mit seinem Geschlecht umgehen in der Performance. Sich als kleines Mädchen zu geben oder verletzbar zu zeigen, das bin ich leid, damit erreicht man nichts. Deshalb ist die Art, wie ich etwas erzähle, maskulin.“
Wir treffen uns in Herning, einer kleinen Stadt in Dänemark mit großem Museum, in dem Lilibeth Cuenca mit Mis United die Gruppenausstellung „Socle Du Monde“ eröffnet hat. In Berlin ist heute ihr erster Auftritt in Deutschland, bei der Eröffnung des Performing-Arts-Festivals „In Transit“ im Haus der Kulturen der Welt. In Dänemark lebt Lilibeth Cuenca Rasmussen seit ihrem 8. Lebensjahr. Ihr Vater ist dänischer Seemann, ihre Mutter kommt von den Philippinen, in Manila wurde sie geboren. Der Umzug aus der Metropole in ein Dorf mit 200 Seelen ist ihr noch immer einschneidend in Erinnerung. Sie war katholisch getauft, als sie in Dänemark ankam, und beschloss mit 14 zum Protestantismus zu konvertieren, ein notwendiger Schritt für ihren Alltag. Dennoch hat sie dem Katholizismus der Philippinen eine beeindruckende Videoarbeit gewidmet: „Holy Wood“, eine fast unkommentierte Beobachtung von Ekstase und Kontrollverlust, blutigem Reenactment von Kreuzigungsszenen und Prozessionen, geschnitten im Rhythmus der Peitschenschläge der Büßer.
„Als ich nach Manila zurückging“, erzählt sie, „hat mich die soziale Komponente des Glaubens sehr berührt. Das ist so stark, ich bin neidisch auf die Intensität und auch auf die Sicherheit, die der Glaube verleiht.“ Lange fürchtete sie sich vor der Rückkehr nach Manila, der Wiederbegegnung mit dem Verlorenen. Erst das Kunststudium in Kopenhagen, begonnen 1996, und das Interesse für erzählende und dokumentarische Arbeitsweisen gaben ihr die Instrumente in die Hand, die die Annäherung wieder möglich machten. Inzwischen reist sie regelmäßig dahin.
2006 entstand dort „House of Hope“, ein Dokumentarfilm über den Stamm der Bajau, die früher als Fischer und Bootsbauer lebten und heute als „Zigeuner des Meeres“ verachtet werden. Fast alle Bilder zeigen sie im Wasser, über dicke Taue laufend, schwimmend und nach den Gaben tauchend, die sie von den großen Schiffen erbetteln. Viele sind verkrüppelt, durch Piraten, Unfälle oder durch Krankheiten. Cuenca berichtet davon, in musikalisch schwingenden Zeilen, ein trauriger schleppender Rhythmus, in dem sie die Sterblichkeitsrate der Kinder, 15 Prozent, auf die häufigsten Unfälle, dynamite accident, reimt.
Vernetzt mit der Kunstszene Manilas ist sie nicht, vor allem in Skandinavien tourten ihre Arbeiten bisher. In New York nahm sie 2007 im Brooklyn Museum an der Ausstellung „Global Feminisms“ teil und hat dort ein Aufenthaltsstipendium zugesagt bekommen. Einige ihrer Arbeiten nehmen explizit Bezug auf die Kunst- und Performancekonzepte seit den Sechzigerjahren: „A Void“, eine mehrstündige Tour de Force durch 13 Akte der Performance-Geschichte, und „Artist’s Song“, beide auch in Berlin zu sehen. „Mir ist es wichtig, die Verbindung in die Vergangenheit zu benennen, aber auch zu überwinden“, sagt sie.
„Artist’s Song“ spielt in einem Museum: Zwischen dem weißen Marmor der Antike bewegt sie sich auf Sockelschuhen, weißgeschminkt und mit verfremdenden Stoffhörnern, die als Penis, Busen, Trinkhorn und auch anderweitig einsetzbar sind. Sie singt dabei über exzentrische Strategien und öffentlichkeitswirksame Auftritte der jüngeren Kunstgeschichte, und ihr Blick darauf nimmt die Vorbehalte eines Publikums auf, das dahinter mehr Scharlatanerie als sonst was vermutet. Es ist die Exklusivität des Kunstbetriebs, der sie dabei in feiner Ironie schlechte Noten gibt.
Nicht zuletzt denkt sie dabei an ihre Herkunft aus einer Arbeiterfamilie, die vielen Geschwister in Dänemark, die große Verwandtschaft auf den Philippinen, für die sie als Künstlerin eine Exotin ist. Sie erzählt von einem Moment des Schocks, „zwei Jahre Arbeit in eine Installation gesteckt, die dann irgendwo 50 Leute sahen“. Das brachte sie dazu, nach populäreren Formen zu suchen. „Ich möchte die Geschichte so offen wie möglich halten, sie soll wie ein Spiegel funktionieren, in dem jeder etwas von sich entdecken kann. Das funktioniert mit Musik am besten.“
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