90 Minuten in einer Bar in der Pariser Banlieue : „Zidane fehlt uns“
Wie enttäuschte Fans der „Equipe Tricolore“ dem Fußball doch etwas Positives abgewinnen können
Die Bar „Rossignol“ in Montreuil liegt auf der Linie, die Paris von der Banlieue trennt. An diesem Abend ist sie ähnlich besetzt wie die französische Nationalmannschaft. Der Patron stammt aus Algerien. Die Kundschaft hat Wurzeln im Maghreb, in Schwarzafrika und in der Karibik. Mittendrin sitzen ein Portugiese und zwei gallische Ureinwohner. Dazu – und das ist anders als in der Nationalmannschaft – ein Vietnamese und zwei Frauen. Es duftet nach Minztee, Couscous und Kebab.
„Natürlich unterstütze ich die Bleus“, sagt ein junger Mann aus einer malischen Familie in Montreuil: „Wen denn sonst?“ Kopfschüttelnd über die dumme Frage erklärt ein 23-jähriger Algerier: „Hier bin ich aufgewachsen. Also bin ich für Frankreich.“ Dann schiebt er nach: „Algerien spielt ja nicht mit.“ Ein 37-Jähriger aus der Elfenbeinküste, der Fußball spielt, „wie jeder junge Afrikaner“, drängt sich vor. Um zu sagen: „Allez les Bleus“. Im „Rossignol“ bleiben an diesem Abend mehr als die Hälfte der Stühle leer. Beim Afrika Cup am Jahresanfang gab es selbst Gedrängel auf den Stehplätzen.
„Der Ball gibt uns die Macht, Rassengrenzen zu brechen und Diskriminierungen zu besiegen“, steht auf einem Werbeplakat für Sportartikel, das auf der Straße vor dem „Rossignol“ steht. Ein Kameruner erklärt die Diversität in der Fußballmannschaft so: „Die Europäer haben erkannt, dass sie ihr Image verbessern können.“ Aber außerhalb des Sports sei alles anders. „Da muss, wer eine dunkle Haut hat, viel größere Anstrengungen unternehmen“, sagt er, „es sei denn, er will Straßenkehrer werden oder Anstreicher.“ Ein Tunesier hält dagegen: „Die Diversität ist längst überall: In der Nationalversammlung sitzen Juden aus Algerien und Einwanderer aus Polen.“ Für den portugiesischen Kranfahrer, der Ronaldo auf dem T-Shirt trägt, ist die Erklärung einfach: „Im Fußball hat jeder eine Chance. Vor allem Kinder aus Familien, denen das Geld für die großen Schulen fehlt.“
Als das 2:0 da ist, leert sich das „Rossignol“ in Windeseile. Der Wirt eilt einem Kunden nach, der vergessen hat, seinen Kaffee zu bezahlen. „Zidane fehlt uns“, beklagt ein Algerier. „Mit Tigana als Trainer wäre das nicht passiert“, meint ein Westafrikaner. „Du weißt genau, dass das nicht geht“, entgegnet ein Jüngerer. „Wieso?“, sagt der Ältere, „doch nicht, weil er schwarz ist?“ DOROTHEA HAHN