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Archiv-Artikel

Und plötzlich geht es ganz leicht

Fahrradkurse für Erwachsene bietet das Frauengesundheitszentrum in der Sozialbau-Siedlung Bremen-Tenever an. Unter den Teilnehmern sind viele MigrantInnen. Doch sie sind längst nicht die Einzigen, die nicht können, was andere als Kinder lernen

VON EIKEN BRUHN

Ein Parkplatz vor einem Altenheim, im Hintergrund die Hochhäuser von Bremen-Tenever. Olcay Yilmazer steigt aufs Fahrrad und fährt. Zum ersten Mal in ihrem Leben, mit 29 Jahren, tritt sie in die Pedale und fährt davon, ein bisschen wackelig noch, aber plötzlich geht es ganz leicht. „Wir fliegen“, sagt eine andere Frau und Olcay Yilmazer hört einfach nicht mehr auf zu lächeln.

Als Kind in der Türkei hatte sie kein Rad gehabt und wo hätte sie auch fahren sollen, es gab ja keine Radwege, nur viele Autos. Einmal hatte sie es mit dem Rad der Nachbarin versucht und sich beim Hinfallen das Knie verletzt, seitdem hatte sie Angst. Aber hier in Bremen, wo die diplomierte Krankenschwester seit zwei Jahren lebt, hier haben alle ein Rad, sie fahren immer, auch bei schlechtem Wetter. „Vielleicht musst du einen Kurs machen, vielleicht weiß ich nicht, wie man das am besten zeigt“, hatte ihr Mann gesagt, nachdem er es aufgegeben hatte, ihr das Radfahren beizubringen.

Seit einer Woche trifft sie sich jetzt schon jeden Morgen für zwei Stunden mit neun anderen Frauen, übt unter Anleitung der Verkehrspädagogin Sigrun Bösemann Auf- und Absteigen, umfährt rot-weiße Hütchen, bremst auf ein Klatschen der Kursleiterin. Erst mit dem Roller, dann mit den niedrigen Übungsrädern, bei denen sich die Pedale wegklappen lassen, so dass sie als Laufräder genutzt werden können.

Organisiert hat den Kurs das Frauengesundheitszentrum in der Sozialbau-Siedlung Tenever, der Landessportbund und die Stadt bezahlen ihn, die Räder stellt der ADFC, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club. Der bietet nicht nur in Bremen immer mehr solcher Kurse an und es sind längst nicht nur MigrantInnen, die das nicht können, was andere als Kinder lernen. Die MigrantInnen seien sogar im Vorteil, hat Bösemann beobachtet, weil sie noch nicht so viele negative Erfahrungen mit dem Radfahren gemacht haben, nicht gehänselt wurden. In den Ländern, aus denen sie kommen, sind sie keine Ausnahme, sondern die Mehrheit.

Im Ghana der 70er Jahre gab’s kaum Räder, erzählt Esther Skauradschun, geschweige denn Kinderräder. Die 47-Jährige erinnert sich an einen Mann, der ein Rad verlieh, auf einem Feld. Ihre Geschwister haben es damit probiert, nur mussten sie aufpassen, nicht hinzufallen und sich die Knie aufzuschürfen – wen die Eltern erwischten, wurde verprügelt.

Seit 17 Jahren lebt sie in Deutschland, macht gerade eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Sie hat es satt, immer überall mit dem Auto hinzufahren, zu Hause bleiben zu müssen, wenn Freund und Sohn eine Radtour machen. Der 13-Jährige lacht seine Mutter deswegen manchmal aus, aber ihr ist das nicht peinlich. „Es geht ja um mich“, sagt sie und setzt sich wieder in den Sattel. Ihre Freundin dreht schon glucksend eine Runde auf dem Platz, Esther Skauradschun sucht noch die Bewegung, die es braucht, um das Rad zum Schnurren zu bringen. „Ich bin frustriert“, sagt sie, aber sie gibt nicht auf.

Eigentlich hatte die Kursleiterin jetzt eine Pause angesetzt, aber die Frauen machen einfach weiter, egal, ob sie den magischen Moment schon hinter sich haben oder noch nicht. Olcay Yilmazer verschwindet im Wald.