: Abgründiger Humor
Das Lübecker Günter Grass-Haus präsentiert derzeit 100 Zeichnungen Robert Gernhardts, der in seinem letzten Lebensjahrzehnt zwar leicht melancholisch, in seinem Spott auf zeichnende Kollegen aber niemals zahnlos wurde
Es ist nicht alles zum Lachen in den Texten und Bildern Robert Gernhardts. Die bekannten Bildergeschichten und Bildwitze, die vor allem aus seiner frühen Zeit stammen, zünden zwar bei jedem Sehen sofort wieder. Noch zu entdecken aber ist ein melancholischerer Gernhardt, der die Leerstellen des Lebens deutlich benennt. Das offenbaren viele Bilder und Zeichnungen aus dem letzten Lebensjahrzehnt des Doppelbegabten, der vor etwas mehr als zwei Jahren starb.
Die aktuelle Ausstellung im Lübecker Günter Grass-Haus führt diese beiden Aspekte konzentriert und übersichtlich zusammen: Anders als es der Titel der Ausstellung – „Die letzten Bilder“ – suggeriert, bekommt man einen knapp gefassten Einblick in Gernhardts gesamtes künstlerisches Spektrum.
Insgesamt sind rund 100 Arbeiten zu sehen, die den zyklischen Zusammenhängen entsprechend gehängt wurden, in denen sie entstanden. Darunter sind auch die 99 Illustrationen zu Sätzen aus den „Sudelbüchern“ des großen Aphoristikers Georg Christoph Lichtenberg, die Gernhardt für eine Reihe des FAZ-Magazins geschaffen hat. Sie zeigen seine Fähigkeit, das Untergründige auf eine leichte, sofort zugängliche Weise zu bebildern, ohne Lichtenbergs Sentenzen ihre ätzende Schärfe zu nehmen.
Neben diesen Arbeiten sind es vor allem zwei Bilderzyklen zu eigenen Gedichten, das „Septemberbuch“ und das „Montaiser Bestiarium“, die diese Ausstellung sehenswert machen. In den 1990er Jahren entstanden, sieht man in ihnen jenen anderen Gernhardt am markantesten, der – offenbar angeregt von der Landschaft seiner toskanischen Zweitheimat – seinen Gedichten in den Bildern etwas entgegensetzt: Wo es in den Texten, im „Bestiarium“ vor allem, oft um Tiere geht, malt Gernhardt diese zwar auch. Doch rr stellt sie in den kommentierenden Pastellbildern in eine menschenleere Landschaft hinein, deren abendlich leuchtendes Licht dem gefällig Humorigen der Texte etwas Abgründiges verleiht.
Ähnlich ist es in einigen Bildern zu den Gedichten im Septemberbuch-Zyklus; auch hier konfrontiert Gernhardt die Texte mit solchen Bildern. Es sind letztlich Stillleben, in denen einzelne Gegenstände und Blickwinkel fassbar werden. In den Gedichtbänden aus seinen letzten Jahren hat Gernhardt diese dunklere Seite, auch das eigene Krebsleiden aufarbeitend, weitergeführt.
Beim Gang durch die Ausstellung wird einem außerdem klar, wie konsequent Gernhardt über Jahrzehnte mit den eigenen Möglichkeiten und Begrenzungen gearbeitet hat. Stets hat er sich dabei dezent von den Kollegen aus der so genannten Hochkultur distanziert.
Auch Günter Grass gehörte zu denen, die Gernhardt – wer weiß, vielleicht augenzwinkernd – mit Spott überzogen hat: Das Gedicht „Finger weg!“ aus seinem letzten Gedichtband „Später Spagat“ beginnt zum Beispiel mit den Zeilen: „Poeten, die nicht zeichnen können / sollten’s besser lassen. / Das gilt für Günter Kunerten, / das gilt für Günter Grassen“. Schade, dass Robert Gernhardt gerade zu diesem Gedicht kein Bild hinterlassen hat.
STEPHAN TUROWSKI
Die Ausstellung ist bis 4. 1. 2009 im Lübecker Günter Grass-Haus zu sehen
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