: „ALG II ist kein Gnadenakt“
Wenn die Argen ihre Kunden anzeigen, stimmt etwas mit dem Menschenbild der Hartz-IV-Behörden nicht: Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Brigitte Pothmer, erklärt, wie sie das ändern will
BRIGITTE POTHMER, 53, Sozialpädagogin, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, lebt in Hildesheim. FOTO: DPA
taz: Frau Pothmer, sind die Argen gar nicht zu lasch?
Brigitte Pothmer: Nein, die sind keinesfalls zu lasch.
Momentan hört man oft, die ließen zu viele Sozialbetrüger durchschlüpfen. Sozialminister Olaf Scholz (SPD) will darauf ja auch mit intensiveren Schwarzarbeit-Kontrollen reagieren …
Die Bezichtigung, die Arbeitslosen seien faule Schmarotzer ist empörend – und dass Herr Scholz dieses Klischee mitbedient, ist ein großes politisches Problem. Ich finde das für einen sozialdemokratischen Arbeitsminister unangemessen.
Verdeckt die Debatte nur den eigentlichen Reformbedarf?
Wir haben in der Tat einen großen Veränderungsbedarf beim SGB II. Unabhängig von der zukünftigen Organisationsstruktur ist es uns wichtig, dass der kommunale Einfluss gestärkt wird und die lokalen Entscheidungsspielräume größer werden. Die Entscheidung, was für Arbeitslose am besten ist, muss vor Ort getroffen werden - in einem Gespräch zwischen dem Arbeitslosen und dem Fallmanager. Und zwar einem Gespräch auf Augenhöhe: Wir wollen die Rechte der Arbeitssuchenden stärken. Und wir wollen, dass den Arbeitssuchenden mit Respekt begegnet wird.
Deshalb greift Ihr Bundestags-Antrag auch die schematische Fallbearbeitung an. Dabei entschärft die doch subjektive Konflikte: Wenn in Oldenburg ein Beratungsgespräch dazu führt, dass die Staatsanwälte gegen die Beistände der Kundin ermittelt, klingt das nach zwischenmenschlichen Problemen…
Angesichts solch einer Eskalation scheint eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wirklich nicht möglich. Deshalb wollen wir auch den Betroffenen das Recht einräumen, den Fallmanager wechseln zu können.
Nur stärkt in Oldenburg die Führung des Hauses der Sachbearbeiterin den Rücken. Würde da der Wechsel der Ansprechperson viel ändern?
Auch mir stellt es sich so dar, als hätte die Oldenburger Hausspitze nicht richtig gehandelt. Denn natürlich haben Arbeitssuchende die Möglichkeit, Personen ihres Vertrauens zu einer Beratung hinzuzuziehen. Wir wollen deshalb Ombudsstellen einrichten, die solche Konflikte gemeinsam mit den Betroffenen lösen. Das ist unbürokratisch und schnell. Klar sein muss: Der Anspruch auf Arbeitslosengeld II ist kein Gnadenakt. Das ist ein Rechtsanspruch.
Eben. Das muss man aber auch in die Köpfe vieler SachbearbeiterInnen reinbekommen.
Ein anderes Menschenbild kann man nicht verordnen. Aber wir als Gesetzgeber können viel dafür tun, dass sich Arbeitssuchende und Fallmanager gleichberechtigt gegenüber sitzen. Das fördert den gegenseitigen Respekt.
Und der Antrag hat Chancen?
Die große Koalition wird ihn sicher nicht eins zu eins umsetzen. Das ist nun mal das Schicksal der Opposition. Aber ich gehe schon davon aus, dass Elemente übernommen werden. Wir haben zum Beispiel den Bundesrechnungshof auf unserer Seite, der viele Missstände bei den Argen aufgedeckt hat. Das erhöht den Druck auf die CDU. FRAGEN: BES