: Dienstags braut die Familie Bier
In Thüringen und Sachsen trutzen kleine Privatbrauereien dem Einheitspils im Glas. In den seltensten Fällen wird bocksfüßiger Regionalismus propagiert, wohl aber spannende Exkursionen in die Vielfalt des Bieraromas. Ein Testbericht für Genießer
von MICHAEL RUDOLF
Wenn wir Kleinstbrauereien besuchen wollen, so sind um Himmels willen nicht die pestartig wuchernden Gasthausbrauereien gemeint, die sich entweder als Ableger von Großbrauereien oder als ABM für den pensionierten Studienrat positionieren. In ihnen soll der Butzenscheibentrinker mit dem Erlebnistrinker versöhnt werden. Solcher Kitsch von der Stange schmeckt nur auf alternative Weise uniform – wenn man da überhaupt von Geschmack sprechen darf.
Familienbrauereien sind Unternehmen, die im kollektiven Gedächtnis meist nur noch in Verbindung mit der Fränkischen Schweiz aufblitzen, die aber mit einem enorm punkten können: Vielfalt. Und diese Vielfalt steht in stolzem Kontrast zum Supermarktbiere-Einerlei. In den seltensten Fällen wird bocksfüßiger Regionalismus propagiert, wohl aber sind geheimnisvolle Exkursionen in die Geschichte des untergärigen Bierbrauens zu haben, verbunden mit der Bonuserkenntnis, was Bier alles sein kann: alltägliches Lebensmittel, Durstlöscher, Kochzutat, Genussmittel oder „einfach nur“ Katalysator fröhlichen Miteinanderseins.
In Sachsen und Thüringen haben sich einige Unternehmen mehr oder minder erfolgreich gegen ihre Enteignung Anfang der Siebzigerjahre wehren können. Systematische Benachteiligungen bei der Rohstoffzuteilung oder beim Service mit Ersatzteilen trieben die Brauerfamilien hart an den Wahnsinn. Während sie mit 48-Stunden-Tagen und kaum zu brechendem Optimismus mehr schlecht als recht eine Kulturform vor dem endgültigen Niedergang bewahrt haben, generierten die damals neu gebildeten Braukombinate auf ähnlich schädliche Weise wie heute nur noch die Fernsehbierwerbung die Abwesenheit des Geschmacks – ein sehr trauriges Kapitel volkseigener Industriegeschichte.
Die Landbrauerei Cannewitz (www.cannewitzer.de) verwies bis vor kurzem mit ihrem unglücklich scheinenden Werbeslogan „Jetzt schmeckt es wieder“ auf diesen Tatbestand. Das im Wurzener Ortsteil Roitzsch ansässige Unternehmen gehört seit ein paar Jahren der Familie Klaus und verzaubert jährlich etwa 4.000 Hektoliter Trinkwasser in Bier. Die Spitzenposition im Sortiment hält Cannewitzer Pilsner mit seinen außerordentlich interessanten Hopfeninkrustierungen, die man in der Form so noch nie genossen haben dürfte. Pistazien und Paranüsse werden hier sensorisch ausführlich protegiert. Und das Schönste ist – man muss sie nicht mehr aufknacken, sondern kann sie einfach trinken.
Gut versteckt hält sich, zwei Hand voll Kilometer südlich, die mit 23.000 Hektolitern größte unter den kleinen sieben, die Brauerei Reichenbrand in Chemnitz (www.brauerei-bergt.de). Ihr Reichenbrander Bockbier lächelt mitteldunkel, schnitzelgoldbraun mit rosigen Reflexen an den Rändern und ist eine notfalls mit Waffengewalt zu verteidigende Bockinterpretation. Piment und Wacholder sind zu gustieren und kandierter Hopfen. Auch der Schaum entfaltet Gravität.
Das Hopfenmalzbündnis für Specht Export aus der fast benachbarten Brauerei Specht Ehrenfriedersdorf (mit einem Jahresgesamtausstoß von 7.000 Hektolitern) wurde noch vor der Abfüllung unterzeichnet, und, wie es scheint, man verträgt sich sowohl in der Flasche wie im Glas als auch im Darm.
Mit Krone bis an den Himmel prahlt zu Recht das Specht Bockbier und stellt sich als wahrer Fels in der Brandung unseres Bockbier-Einerleis vor, und der Schwarze Specht beweist, dass hier wohl die eigentliche Wiege des Starkbierbrauens zu liegen scheint.
Der visionäre Nachtrunk von Specht Pilsener wellt in drei Intervallen heran. Vom ersten, blumigen (zwei Sekunden) über eine milde Brücke (eine Sekunde, von Mälze überlagert) zum dritten, aromatisch-bitteren (mit vier Sekunden) Abschnitt. Und bis zum Abschied.
Die erzgebirgische Privatbrauerei Christian Fiedler in Scheibenberg (www.brauerei-fiedler.de) teilt zur Begrüßung mit, sie habe wahrscheinlich die letzten Geheimnisse des Malzes erkundet, und wenn es einen Malznachtrunk überhaupt geben sollte, dann dürfte Fiedler Pilsener der erste großartige Beweis dafür sein. Der Abrahams Bock operiert stark in Richtung belgischer Trappistenbiere und offeriert eine überraschende Fruchtfülle. Passt das? Und ob. Und das Bockbier ist ein wertvolles Landstarkbier mit Pilotcharakter. Hier stimmt mehr als alles. Auch die knapp 8.000 Hektoliter Jahresausstoß.
Weiter geht’s zur Privatbrauerei Blechschmidt im vogtländischen Treuen (Jahresausstoß wird nicht verraten), und zwar auf Knien: Ihr Vogtland Bräu Spezial transzendiert die Hopfenepiphanie ins Unvorstellbare, Vogtland Bräu Schwarzbier ist göttlich beschäumt, mit einer innovativen im Morellenschatten wirkenden Röstmalzerei pro Flasche. So lernt man die verschiedensten Malzsüßigkeiten kennen. Vogtland Bräu Bock bietet eine bordeauxrote Farbe und eine Superschaumvergletscherung. Das angehörige Vogtland Bräu Export mit filigran formvollendetem Körper, büßt leider durch mangelnde Rezens erhebliche Teilmengen seines Sexappeals ein.
Die vorletzte Station wird mit der Ankerbräu Steinach angepeilt, und wenn man in Thüringen genau in der gedachten Mitte zwischen Lauscha und Sonneberg sucht, findet man den Ort auch. Familie Greiner-Wohlleben meißelt an einem 2.000 Hektoliter schweren Braugedenkstein, der daran erinnern soll, wie die typisch ländlichen Biere des Thüringer Waldes schmecken würden, gäbe es sie heute noch. Pils, Dunkel und Bock sind oligochromatisch abgesichert, weich und voll, fast lieblich und damit stets im sympathisch trinkbaren Bereich.
Am Ende unserer gar nicht mal so kleinen Bierexkursion wartet die Brauerei Schmitt in Singen, Richtung Arnstadt. Dienstags braut die Familie Obstfelder, und zwar ein sehr beherzt gehopftes Export – Singer Bier. 800 Hektoliter Jahresausstoß insgesamt. Für Besichtigungen am besten anmelden, vor Ort trinken und genießen. Oder man nimmt es mit und vergleicht zu Hause mit den anderen glorreichen sechs. Eines ist jetzt schon sicher: Das Paradies hat einen Bügelverschluss.
Michael Rudolf ist Autor des Buches „2000 Biere. Der endgültige Atlas für die ganze Bierwelt“. Oktober Verlag Münster, 14 €