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Archiv-Artikel

„Den Reformstau auflösen“

Rot-Grün geht nicht nur, es ist auch sinnvoll. Die Grünen mobilisieren das Selbsthilfepotenzial der Stadt und korrigieren die Fixierung des Sanierungsprogramms auf das Thema Wirtschaftskraft

SPD und Grüne müssten ihre Schnittmenge zum Kernbestand der Regierungsarbeit machen

von Günter Warsewa

Die Überlegungen des Politikwissenschaftlers Lothar Probst (taz vom vergangenen Samstag) passen in die Zeit: Sie sind weder schmeichelhaft für die Bremer Grünen noch verbreiten sie Euphorie für Rot-Grün. Dennoch ist zu unterstellen, dass sie nicht in denunziatorischer Absicht formuliert und veröffentlicht wurden. Es hilft, den Blick auf die ungeschminkte „Verfassung und Orientierung der Bremer Grünen“ zu richten. Wer sich darauf einlässt, stellt fest: Tatsächlich dominieren bei den Bremer Grünen in den letzten Jahren hin und wieder pawlowsche Oppositionsreflexe über die sachliche Auseindersetzung, tatsächlich findet sich hier nur begrenzt Verständnis für hanseatische Tradition und hanseatisches Denken, und tatsächlich lassen die Äußerungen und Aktivitäten der Grünen zu wenig von jenem Optimismus erkennen, der in der Lage des Landes so bitter nötig ist. Das sind Defizite - aber lassen die sich wirklich zu der Kernaussage verdichten, die Bremer Grünen stünden heute außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses?

Es scheint so, als ob sich teils zufriedene, teils resignierte Akzeptanz der großen Koalition über weite Teile der sozialen Milieus erstrecke. Die demokratietheoretischen Argumente, die in einer großen Koalition und ihren überwältigenden Mehrheiten immer eine latente Gefahr für die Bereitschaft der BürgerInnen sehen, sich an der Gestaltung „ihres“ Gemeinwesens zu beteiligen, werden durch diese Entwicklung aber keineswegs entkräftet. Die vermeintliche Einigkeit, „man könne die große Koalition schon machen lassen“, wird nämlich zum schwer wiegenden Modernisierungshemmnis, wenn Staat, Politik und Verwaltung durch „Bürgersolidarität und Selbsthilfe“ entlastet und wenn „Eigeninitiative und Eigenverantwortung gefördert“ werden sollen. Wer eine solche Perspektive ernsthaft in Politik umsetzen will, muss danach fragen, wo diese Potenziale in der Gesellschaft sind und wer sie mobilisieren kann.

Dazu braucht es vor allem das Engagement jener breiten aufgeklärten Mittelschichten, ohne deren Unterstützung keine Modernisierungsstrategie funktionieren kann, und die zu einem beträchtlichen Teil von den Grünen repräsentiert werden. Gerade diese Milieus sind aber von der großen Koalition schlecht behandelt und aus gesellschaftlichen Positionen mit Einfluss verdrängt worden, die sie sich in den 80er und frühen 90er-Jahren gerade erobert hatten. Das Schicksal der Agenda 21 in Bremen steht für viele solche Erfahrungen. Es wäre die Rolle der Grünen in einer neuen Regierung, diesen Gruppen klarzumachen, dass ihr Engagement und ihre Beteiligung wieder erwünscht sind und dass es auch praktisch unterstützt wird. Selbstverständlich kann das nur funktionieren, wenn auch die Politikinhalte stimmen und attraktive Angebote in den Zielen und Schwerpunkten der Grünen erkennbar sind. Von selbst versteht sich auch, dass es dabei nicht allein um Klientelpolitik für die Kundschaft der Grünen gehen kann. Eine hinreichende Schnittmenge mit dem potenziellen Koalitionspartner ist genauso erforderlich wie die gemeinsame Absicht, diese Schnittmenge zum Kernbestand der Regierungsarbeit zu machen.

Wofür also könnten die Grünen stehen, und was wäre der Gewinn für Bremen? Es geht jedenfalls nicht – auch nicht in der grünen Rhetorik – darum, nach acht Jahren großer Koalition auf einmal alles ganz anders zu machen. Die zentralen Linien der in Bremen verfolgten Strukturwandelstrategie – Sparen und Investieren, Ersatz der längst verlorenen alten Hardware-Industrien durch neue tragende Wirtschaftsbereiche wie Dienstleistungen, Medien, Wissenschaft, Freizeit- und Kulturangebote, Modernisierung und Effektivierung des öffentlichen Sektors - sind unter allen politischen Kräften unumstritten. Die Grünen haben dazu während der Ampelkoalition wichtige Grundlagen geliefert und auch in den letzten Jahren konstruktive Beiträge geleistet – zuletzt die Bewerbung Bremens als Kulturhauptstadt Europas. Erwartbar sind ohnehin bestenfalls Akzentverschiebungen: von einer expansiven Flächenpolitik hin zu einer qualitativ hochwertigeren Förderung von kleinen und mittleren Betrieben; eine verstärkte Orientierung von Wirtschafts- und Verkehrspolitik an ökologischen und Nachhaltigkeitskriterien, etwa bei der Förderung von regenerativen Energien, den kleinteiligen Gewerbestrukturen in den Stadtteilen oder bei der Mobilisierung von Betriebsgründungen aus dem Wissenschaftsbereich; oder eine klarere Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Umland. An den strategischen Ausrichtungen der Landespolitik bei der Bewältigung des Strukturwandels und bei den Bemühungen um eine neu zusammengesetzte, tragfähige ökonomische Basis für das Land würde das nichts ändern. Genau darauf hat sich die große Koalition seit nunmehr acht Jahren konzentriert und dabei in vielen anderen Bereichen Fehlentwicklungen in Kauf genommen. Die gedeihliche Entwicklung eines Gemeinwesens verträgt diese Schwerpunktsetzung freilich nur eine begrenzte Zeit lang– irgendwann wird die Einseitigkeit, die bei den so genannten weichen Standortfaktoren nicht mal die bestehenden Qualitätsstandards erhält, kontraproduktiv. Es geht mithin nicht darum, den Umgang mit weichen Standortfaktoren zur Messlatte für die Regierungsfähigkeit der Grünen zu erklären, sondern um eine sachliche und politische Notwendigkeit. Im Verlauf der nächsten Legislaturperiode muss der langjährige Stau aufgelöst werden, der die längst erkannten und von allen akzeptierten Mängel in Bildung und Qualifizierung, Kinderbetreuung, Wohn- und Lebensqualität immer größer werden lässt. Dafür ist die große Koalition ungeeignet; die Gegensätze und Blockaden zwischen SPD und CDU haben hier nennenswerte Fortschritte bisher verhindert und würden den Reformstau nur noch weiter anwachsen lassen. Es wäre die Funktion der Grünen in einer rot-grünen Koalition, hier für ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen den unstrittigen wirtschaftlichen Anforderungen und den ebenso notwendigen Bildungs- und sozialen Zielen zu sorgen. Dies deutlich als eigenen Schwerpunkt herauszustellen, könnte im Übrigen als Signal auch von der Listenaufstellung der Grünen ausgehen.