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Archiv-Artikel

Sterbender Schwan

Während die Alsterschwäne freundlich betreut im Winterquartier dösen, werden ihre Artgenossen in den Vier- und Marschlanden erschossen – aus Angst, sie könnten die Felder kahl fressen

von GERNOT KNÖDLER

Drei Tage vor Weihnachten musste Horst Brüers mit ansehen, wie drei Jäger mit Schrotflinten auf einen Schwarm von Schwänen schossen, die sich auf dem Feld vor seinem Haus die Mägen vollschlugen. Eine Handvoll Vögel wurde getroffen und blieb im Feld – zur Abschreckung ihrer Artgenossen, wie sich später herausstellen sollte. Denn die 120 bis 200 Schwäne und Gänse hatten leckere Rapsblätter gefressen, so dass dem Bauern Herbert Wörmbke Angst und Bange um seine Ernte im kommenden Sommer wurde. Er holte die Jäger. Brüers rief die Polizei.

Die Geschichte schlug in Bergedorf große Wellen. Denn zum einen dürfen Schwäne seit dem 1. November 2000 in Hamburg nicht mehr geschossen werden. Zum anderen pflegt die Hansestadt ihren Stolz auf die Alsterschwäne und lässt sie jedes Jahr mit großem Trara ins Winterquartier auf dem Eppendorfer Mühlenteich bringen. „Zur gleichen Zeit, als die Schwäne geschossen wurden, kam Schwanenvater Nieß zweimal angefahren, um Schwäne in Bergedorf zu retten“, wundert sich Sven Baumung vom Naturschutzbund (Nabu) Bergedorf. Unter den Alsterschwänen seien auch flugfähige Vögel, so dass auch sie zu den erlegten Tieren hätten gehören können.

Als die Jagdzeit für die Schwäne aufgehoben wurde, sah ein Kompromiss mit den Naturschutzverbänden Ausnahmen vor: Sollten die Schwäne Schaden anrichten, konnte „unbürokratisch“ Abhilfe geschaffen werden. Die Bauern und die Forstbehörde verstanden das als Erlaubnis zum Abschuss: Im Schnitt der Jagdsaisons 1993/94 bis 1999/00 wurden knapp 30 Schwäne erlegt, bei einer Spanne von 16 bis 38 Tieren. 2000/01, nach Aufhebung der Jagdzeit, waren es 38, in der folgenden Saison 21 und in dieser bisher sieben.

„Unbürokratisch wäre es gewesen, wenn den zwei betroffenen Landwirten Ausgleichszahlungen in Aussicht gestellt worden wären“, findet Baumung. Die Kosten hielten sich seiner Schätzung nach in Grenzen, da pro Winter maximal 200 wandernde Schwäne Hamburg besuchten. Sie zu vergrämen scheint schwierig zu sein. „Ich fahre aus Curslack jeden zweiten Tag hierher“, sagt Wörmbke. „Die lassen sich kaum verscheuchen.“ Nicht einmal die Schießerei konnte sie vertreiben. „Die kamen zehn Minuten nach dem Schießen wieder“, hat Nachbar Brüers beobachtet. Selbst die zurückgelassenen Kadaver hätten die Artgenossen nicht abschrecken können, ein Erfahrung, die der Ornithologe Baumung bestätigt.

Die Größe des Schadens ist umstritten. Konsens besteht darüber, dass die Vögel zunächst die äußeren Blätter der kohlartigen Pflanzen anknabbern. Diese sind für den Ertrag im folgenden Sommer gegenüber den innen wachsenden Herzblättern unbedeutend. Wörmbke zufolge haben die Vögel aber großen Appetit: Jedes Tier fresse schätzungsweise ein Kilogramm Blattmasse am Tag, macht rund 150 Kilo für Wörmbkes Feld. „Wenn wir die Schwäne noch drei bis fünf Wochen gelassen hätten, wären die auch an die Herzblätter gegangen“, vermutet er.

Wie hoch sein Schaden ist, kann er nur ungefähr beziffern. Bei einem Ernteausfall von 50 Prozent müsste er auf 1000 Euro Einnahmen pro Hektar verzichten. Die betroffenen Felder sind acht und 21 Hektar groß. Wie stark die Ernte vermindert wird, weiß keiner genau. „Eine wirkliche Prüfung dieser Schäden findet nie statt“, behauptet der Nabu. Daher sollte sie als Voraussetzung für Ausgleichszahlungen eingeführt werden.

Bei der EU und der Stadt gibt es aber keine Töpfe für solche Ausgleichszahlungen. Dafür finanzieren sie den größten Teil der Kosten für winterlich grüne Äcker, an denen sich die Schwäne laben könnten. Eine Lösung des Problems könnte sein, das Scheuchen mit diesem alternativen Nahrungsangebot zu kombinieren. Doch der Erfolg des Vorschlags von Rainer Wujciak aus der Wirtschaftsbehörde ist ungewiss: Durch Züchtung hat der Raps vor zwanzig Jahren seine Bitterkeit verloren und ist seither für wilde Tiere sehr attraktiv. „Der ist so lecker, den mögen sie am liebsten“, sagt Wujciak.