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Archiv-Artikel

Nix als Gips im Kopf

Kneten, Hämmern, Kratzen – drei Tage Bildhauer-Workshop sind Schwerstarbeit. Felicitas Franck will sie Laien aber leicht machen. Was dabei entstehen kann, zeigen die Künstlerin und ihre zehn Kollegen am Wochenende im Atelierhaus Adlershof

von ANNE HAEMING

Gips ist eine tolle Kochzutat. Einfach Wasser dazu, paar Minuten warten, schon brodelt die Pampe. Angeblich wärmen sich Spezialeinheiten der amerikanischen Armee auf diese Weise sogar ihre karge Marschverpflegung auf. „Das hat mir mal ein Kursteilnehmer erzählt, ein echter Technikfreak.“ Felicitas Franck benutzt das Gesteinspulver nicht für Überlebenswichtiges. Oder doch? Sie ist Künstlerin. Ihre Porträtbüsten sind nicht aus hart gesottenem Allerweltsgips. Nur Alabaster ist ihr gut genug, eine edles Pulver unter den Kalziumsulfaten. „Das benutzen auch die Restauratoren im Pergamonmuseum“, klärt sie die Hand voll Teilnehmer eines dreitägigen Workshops auf. Das motiviert. Die Drecksarbeit wartet.

An der Tür zum Werkraum klebt eine Schwarz-Weiß-Kopie mit sich tummelnden Putti. Der Wegweiser zu einer Hand voll Bildhauertische, höhenverstellbar und mit einer dreißig mal dreißig Zentimerter großen Arbeitsplatte, einem großen Spiegel und einer Werkbank. Eimerweise Äxte, Hämmer, Meißel, Raspeln und ein Zentnersack Vollkornmehl. Sieht natürlich nur so aus, ist aber Gips.

Schnell wird klar: Plastiken aus Alabastergips dauern. Die meiste Zeit geht dafür drauf, rührenderweise zu warten, bis der gräuliche Teig endlich die richtige Konsistenz hat. Und wer letztendlich zu Hammer und Meißel greifen kann, rennt ständig zu einem unscheinbaren dicken Buch. Der Wälzer muss gut sein, die Gebrauchsspuren sind unübersehbar, alle Seiten sind lose. Der „Bammes“ ist die erklärte Dreitagesbibel: ein Anatomiehandbuch für Künstler. Sehr zerfleddert, von 1973, muss noch aus den Studientagen von Felicitas sein. Im Deckblatt steht handgeschrieben „Fee F.“, ansonsten akkurate Zeichnungen von Körperfasern und Fotos von Muskelspielen und Grimassen. Sie sollen bei den wichtigsten Fragen helfen: Wo fängt bei einem Gesicht der Wangenknochen an, und wo zum Teufel ist das Kinn?

Anne scheint damit keine Probleme zu haben. Zielstrebig haut sie einen Torso aus dem Gips, wechselt ab und zu sinnierend von einem Bein aufs andere. Ihre Bewegungen kommentiert sie mit lateinischen Formeln, musculus sartorius, Schneidersitzmuskel. Kein Wunder. Sie ist Ärztin, Dermatologin im Krankenhaus. „Hier lernt man, die Welt zu begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Ein Satz wie aus einer „Einführung in die Bildhauerei“. „Ist doch klasse, so einen nackten Po in der Hand zu haben“, sagt Anne und wird ein bisschen rot. Als Hautärztin bekommt sie bestimmt genug Frischfleisch zwischen die Finger. Aber sie trennt strikt zwischen den beiden Bereichen: „Als Ärztin stelle ich ja kein fertiges Produkt her, die Zeit verpufft irgendwo.“ Sie tätschelt den rauen Gipstorso: „Diese Skulptur ist eine Zeitkonserve.“

Eine neue Wahrnehmung – ist das der Reiz? Berit ist Psychologiestudentin, sie rührt selbstvergessen in ihrem Becher. Ihre Inspiration ist ein Foto: rote Bettwäsche, pennende Berit. Eine „schlafende Muse“ soll es werden. Ihre letzte Arbeit: unvollendet. Nadja ist beharrlicher. Am ersten Tag steht sie vor einemFrauenakt, am dritten Tag wirkt die Skulptur unverändert. „Alles in allem steckt ein Monat Arbeit drin“, sie dreht sich wieder vor den Ganzkörperspiegel.

Die Schar der Wiederholungstäter ist groß, viele sind Felicitas von einem VHS-Kurs in ihr Atelier gefolgt. „Ich wollte professionellere Workshops machen,“ erklärt Felicitas. Sie sitzt in der Atelierküche, Kaffee in der einen, Lebkuchen in der anderen Hand. Gerade hat sie von Maillol und Arno Breker erzählt, über Demokratie und Kunst diskutiert, die Kunstbücher stapeln sich. „Es ist auch für mich ein Ausgleich, so viele Leute um mich zu haben.“ 50-, 60-jährige Frauen, die vom Spülen die Nase voll und mit Kunst gar nichts zu tun haben, reizen sie besonders. „Manchmal wabert der Dampf der Energien in den Räumen.“

Ihre eigene Dynamik prangt auf ihren Latzhosen: Da bröckeln weiße Gipsreste, haben sich bunte Wachsflecken eingenistet und Tonspuren ins Gewebe gefressen. Die Farbe kommt vom Paraffin, mit dem sie Poträtbüsten überzieht. Vor zwei Jahren hat sie damit einen Hundesalon in der Volksbühne eingerichtet, blauer Spitz, grüner Terrier. Das arhythmische Hämmern geht weiter, von oben dringt ein klavierbegleitetes Do-Re-Mi durch die Decke. Nur der Blick aufs Treptower Sozialamt, der stört ein bisschen.

Tage der offenen Tür, Atelierhaus Adlershof, 1., 2. 2., 14–20 Uhr, Rudower Chaus. 4, Haus 6. www.bildwerke.net