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Archiv-Artikel

Familiärer Karikaturenstreit

Das afrikanische Autorenkino findet in Traditionsproblemen ein wesentliches Thema. Die Filmreihe „African Screens“ im Haus der Kulturen der Welt zeigt Produktionen der letzten Jahre, die mit souveräner Erzählhaltung das Publikum herausfordern

VON BERT REBHANDL

In der westafrikanischen Stadt Conakry verläuft ein Karikaturenstreit mitten durch die Familien. Der junge BB arbeitet als Zeichner für eine lokale Zeitung. Er liebt die Tochter seines Chefs, die ihr Geld damit verdient, dass sie Webseiten entwirft, zum Beispiel für die nationale Fluglinie Air Guinea. Abends muss BB zum Familienrat. Sein Vater ist der Imam von Conakry, die wichtigste muslimische Autorität, und diese Funktion wird in der nahen Zukunft neu zu besetzen sein.

Die Entscheidung darüber, wer nach Saudi-Arabien gehen soll, um dort den Koran zu studieren, fällt in einem Traum. Der Imam träumt von seinem Vater und bekommt so eingegeben, dass ausgerechnet der lebenslustige und respektlose Zeichner BB demnächst ein religiöses Amt annehmen soll. Währenddessen erreichen den Chefredakteur schon die ersten Anrufe von Menschen, die gegen seine Karikaturen protestieren.

Die Konstellationen in dem Film „Il va pleuvoir sur Conakry“ von Cheick Fantamady Camara sind typisch für moderne afrikanische Gesellschaften, die stark von Ungleichzeitigkeiten geprägt sind und dies nicht selten in Generationenkonflikten zum Ausdruck bringen. Dabei ist es gar nicht so einfach, immer zwischen traditionellen und modernen Verhaltensweisen zu unterscheiden. Denn auch BB und sein Freund befragen das Orakel der Ahnen, sie sind also keineswegs ganz herausgetreten aus den Bezügen, die das Leben immer schon geprägt haben. Auch das Problem der Trockenheit wird irgendwann so drängend, dass die unsichtbaren Autoritäten im Leben von Conakry ins Spiel gebracht werden müssen. Spätestens hier wird Cheick Fantamady Camaras Film, mit dem am Donnerstag das Festival „African Screens“ im Haus der Kulturen der Welt eröffnet wurde, zur beißenden Satire.

Der Regisseur kann sich dabei vermutlich mit seinem Helden BB ein wenig identifizieren, denn das Kino zählt als Kunstform zu einer aufgeklärten Öffentlichkeit, die aber auf die traditionellen Formen der afrikanischen Kultur angewiesen ist, um eine spezifische Attraktion zu erreichen. Das afrikanische Kino ist besonders stark geprägt von einer Konstellation, die bezeichnend ist für die inneren Verwerfungen der Moderne. Einerseits schafft das Kino als globales Medium eine technischen (und auch narrativen) Standard, dem das filmische Erzählen aus afrikanischen Ländern genügen soll. Andererseits sind viele Phänomene, die einer einsinnigen Moderne als „autochthon“, ja rückständig erscheinen können, das eigentlich Interessante. Auch das Autorenkino aus Afrika findet in den Traditionsproblemen ein wesentliches Thema.

Manthia Diawara, Kurator der Schau im Haus der Kulturen der Welt, ist eine der führenden Autoritäten in diesen Fragen. Er unterrichtet in New York, hat immer wieder zum afrikanischen Kino publiziert und mit Filmen wie „Rouch in Reverse“ auch selbst in dem Medium gearbeitet, von dem er handelt. „African Screens“ ist entsprechend nicht nur eine Filmschau, sondern wird von Gesprächsveranstaltungen begleitet. Heute Nachmittag treffen Cheick Fantamady Camara, der Regisseur von „Il va pleuvoir sur Conakry“, John Akomfrah (Mitbegründer des Black Audio Archives) und andere zu einer Debatte über „Postkolonialismus und die ästhetischen Strategien der Repräsentation“ zusammen. Denn die Probleme, die unter dem Stichwort des Postkolonialismus zusammengefasst werden, haben sich noch verschärft.

Manthia Diawara hat bei seiner Schau die bekanntesten Filme der letzten Jahre nicht ausgespart. So bildet zum Beispiel „Bamako“ von Abderrahmane Sissako einen theoretischen Horizont in mehrfacher Hinsicht, denn in dieser fiktiven Gerichtsverhandlung gegen die internationalen Finanzautoritäten stehen auch die Formen der Diskursivierung selbst auf dem Spiel, also die Art und Weise, wie Afrikaner sich in die globalen Institutionen (zu denen Sissako ganz eindeutig auch das Kino zählt) einbringen.

Im Rahmen von „African Screens“ fällt dabei unweigerlich auch das Stichwort Arte. Der nominell europäische, tatsächlich vorwiegend deutsch-französische Kultursender ist prominente Auswertungsstätte für afrikanisches Kino und ist vielfach über spezialisierte Subventionsgeber auch an Produktionen beteiligt. Der großartige „Daratt“ aus dem Tschad, eine Reflexion von Mahamat Saleh-Haroun über die Nachwirkungen des Bürgerkriegs und eine sehr spezifische Form der Vergangenheitsbewältigung, entstand ebenfalls in Koproduktion mit Frankreich. Frankreich vergibt also zugleich kulturelle Förderung und tritt militärisch wie politisch als Schutzmacht in einem Land auf, das es weiterhin als seine Einflusszone betrachtet. Die besten Filme von „African Screens“ lassen diese Bedingungen in ihre Erzählungen einfließen oder sie trotzen – wie „Daratt“ – den prekären Strukturen eine souveräne Erzählhaltung ab, die wiederum dem Publikum in einer Stadt wie Berlin zur Herausforderung werden kann.

Bis 9. 11.; Programm: www.hkw.de