: Eifrige Nazis in der „Grenzland-Universität“
Dass Studenten und Dozenten der Kieler Universität besonders beflissen dem Nationalsozialismus huldigten, ist kaum bekannt, denn die Aufarbeitung steckt aufgrund der mageren Quellenlage noch in den Anfängen. Abhilfe soll jetzt eine Ringvorlesung schaffen
Wer unter den Nazis an der Kieler Universität studieren oder lehren wollte, musste ideologiefest sein. Er musste zudem arisch und möglichst männlich sein, sollten Frauen doch vor allem gebären. Soweit deckt sich die Geschichte der Kieler Universität zwischen 1933 und 1945 mit der anderer deutscher Universitäten. Weniger bekannt ist, dass die Kieler Studentenschaft als eine der ersten einen nationalsozialistischen Vorsitzenden hatte – noch bevor sich 1933 der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund etablierte.
Zudem war die Kieler Professorenschaft schnell eingeknickt und schloss bereitwillig „nicht-arische“ Kollegen aus. Das lag vor allem daran, dass der Boden für nationalsozialistisches Gedankengut bereits bereitet war: Schon während der Weimarer Republik hatte man sich als „Grenzland-Universität“ verstanden, die das „Deutschtum“ gegen die Dänen verteidigte.
All dies wurde bislang nur ansatzweise erforscht; einige wenige Detailstudien liegen vor. Höchste Zeit also, eine Ringvorlesung zu beginnen, die von diesem Montag an wöchentlich das Gebaren einzelner Fakultäten und Institute während des Dritten Reichs untersucht. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft wird hier fokussiert, das kunsthistorische Institut, die medizinische sowie die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, die sich damals als „Stoßtruppfakultät“ verstand.
Dass Kiel diese Dinge trotz der kürzlich eröffneten Internet-Plattform samt Biographien suspendierter Professoren erst jetzt aufarbeitet, erklärt Historiker Carsten Mish, der die Ringvorlesung mitkonzipiert hat, mit der Quellenlage: „Da die Kieler Philosophische Fakultät während des Zweiten Weltkriegs großteils zerstört wurde, gingen etliche Akten verloren. Wir müssen also mühsam anderswo nach Parallel-Akten suchen.“
Dass der noch ausstehende Gesamtabriss dieser Epoche weitere prekäre Details zutage fördern werde, sei allerdings sicher: So habe die Kieler Studentenschaft bereits im Frühjahr 1933 eine „Aktion wieder den undeutschen Geist“ organisiert, die die Suspension „nicht-arischer“ Dozenten propagierte und in einer Bücherverbrennung gipfelte.
Der Widerstand gegen das Unrecht sei, so Mish, gering gewesen. „Einige wenige Studenten haben ihre Dozenten verteidigt, wenn Nazis deren Vorlesungen störten.“ Derlei Rebellion wurde allerdings mit Drohungen in der schleswig-holsteinischen Studentenzeitung beantwortet. Mancher Dozent bat deshalb „freiwillig“ um seine Entlassung, um seine Studenten zu schützen.
All dies soll die Ringvorlesung erhellen, deren Vorträge später ein Sammelband bündeln wird. Und was die ausstehende Überblicksstudie betrifft, die die meisten deutschen Universitäten längst erstellt haben, ist Mish optimistisch. Aus gutem Grund, denn der aktuelle Kieler Universitätspräsident heißt Gerhard Fouquet. Seines Zeichens Historiker und an der Aufarbeitung der Universitätsgeschichte zwischen 1933 und 1945 sehr interessiert.
PETRA SCHELLEN
Die Ringvorlesung „Uni und Nationalsozialismus“ beginnt am 27. 10. um 18.15 Uhr an der Kieler Universität. Martin Sabrow vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung spricht über deutsche Universitäten im Nationalsozialismus.
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