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Archiv-Artikel

„Gerecht ist es, wenn alle eine Chance haben“

Die grüne Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt plädiert für eine andere Nutzung der Mittel, die heute für Arbeitslosigkeit ausgegeben werden

taz: Frau Göring-Eckardt, das Bündnis für Arbeit ist gescheitert. Ist die Konsenspolitik am Ende?

Katrin Göring-Eckardt: Es ist unsere Aufgabe, Reformvorschläge zu machen, die am Gemeinwohl orientiert sind. Dabei können wir es nicht allen gleichzeitig recht machen. Aber selbstverständlich sind wir weiter gesprächsbereit.

Bundeskanzler Schröder will am 14. März in einer Regierungserklärung eigene Reformen vorstellen. Was würden Sie sich als die entscheidende Botschaft dieser Erklärung wünschen?

Entscheidend ist, dass Vertrauen geschaffen wird, dass man wieder Lust bekommt, in Deutschland zu investieren, weil wir gute Bedingungen haben, damit Arbeitsplätze entstehen. Und die Menschen brauchen wieder Zutrauen in die Politik sowie Verständlichkeit und Verlässlichkeit ihrer Entscheidungen.

Solche Sätze könnten auch von den Arbeitgebern kommen. Wenn man sich die Forderungen der Grünen anschaut – Arbeitslosenhilfe kürzen, Kündigungsschutz lockern, Steuern weiter senken –, könnte man meinen, bei der FDP gelandet zu sein.

Das ist Quatsch. Natürlich ist es gerecht, dass jemand, der 20 Jahre in einem Unternehmen ist, Kündigungsschutz genießt. Aber es ist nicht gerecht, dass wir immer mehr Menschen haben, die gar nicht erst in Arbeit kommen, die langzeitarbeitslos sind. Darum geht es. Gerecht ist es, wenn alle eine Chance haben, auch die, die heute draußen sind.

Die Erwerbslosigkeit steigt, und Sie wollen bei Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld kürzen. Wie kann das gerecht sein?

In erster Linie geht es darum, dass diejenigen eine Chance bekommen, die heute keine Arbeit haben. Dem muss sich alles unterordnen. Klar muss sein, dass schnell Angebote gemacht werden am ersten Arbeitsmarkt, in der Leiharbeit oder auch in der Fort- und Weiterbildung. Das gilt auch bei der geplanten Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II. Natürlich müssen wir fragen, was wir noch finanzieren können. Aber wir wollen nicht einfach kürzen. Heute geben wir Geld dafür aus, dass Menschen draußen bleiben. Das ist falsch.

Der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Gerster, fährt aber den entgegengesetzten Kurs. Die Beschäftigungsmaßnahmen werden eingeschränkt, Langzeitarbeitslose bekommen kaum noch ABM zugewiesen.

Diese einfache Kürzung bei den Beschäftigungsmaßnahmen halte ich für problematisch, auch wenn vieles überprüfungsbedürftig ist. Jeder soll ein Angebot bekommen. Die Erwerbslosen sollen die Möglichkeit haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Wir haben die Hartz-Konzepte wie Leiharbeit oder Ich-AGs. Für diejenigen, für die die Hartz-Konzepte nicht funktionieren, müssen die Job-Center öffentliche Beschäftigung anbieten.

Wir haben allein 1,7 Millionen Empfänger von Arbeitslosenhilfe. Die Hartz-Konzepte bringen nur ein paar zehntausend neue Jobs. Wollen Sie für einige hunderttausend Erwerbslose einen neuen zweiten Arbeitsmarkt eröffnen?

Es kann nicht falsch sein, dass wir die Fähigkeiten derjenigen nutzen, die Leistungen erhalten, und gleichzeitig Auszeiten verringern. Wir müssen erreichen, dass die Mittel, die wir heute für Arbeitslosigkeit ausgeben, genutzt werden, um mehr Arbeit finanzierbar zu machen. Das können sowohl gemeindenahe Dienstleistungen etwa in der Jugendkulturarbeit oder im Umweltbereich, aber auch die Unterstützung von Tätigkeiten in privaten Unternehmen sein.

Die Grünen wollen den Kündigungsschutz lockern. Gehen Sie damit nicht das Risiko ein, dass demnächst hunderttausende ältere Arbeitnehmer auf der Straße stehen?

Wir wollen den Kündigungsschutz erhalten, aber in einigen Punkten flexibler machen. Wir möchten zum Beispiel, dass sich Arbeitnehmer entscheiden können, ob sie im Falle einer Kündigung den bisherigen Schutz genießen oder eine Abfindung bekommen. Damit die Arbeitnehmer bei einer Neueinstellung aber nicht erpressbar sind, sollen sie sich frühestens nach Abschluss des Arbeitsvertrages oder auch erst bei einer Kündigung entscheiden, welche Regelung sie vorziehen.

Viele SPD-Politiker fordern angesichts der hohen Arbeitslosigkeit jetzt ein öffentlich finanziertes Konjunkturprogramm. Können sich die Grünen leisten, ein solches Programm rundweg abzulehnen?

Das Risiko ist hoch, dass damit unsinnige Projekte finanziert werden. Wir haben das im Osten gesehen – in den Förderprogrammen noch unter der Regierung Kohl –, wo durch die undifferenzierte Kreditvergabe viele Investitionsruinen entstanden. Und das hilft den überschuldeten Kommunen nicht.INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH,ULRIKE HERRMANN