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Ein zwischenkulturelles Missverständnis

Seit 1996 fordern die Kultusminister „interkulturelle Inhalte“ für Schulen. Manche Bundesländer missverstehen sie als „Anti-Gewalt“-Programme

Eine ihrer letzten Reisen als Präsidentin der Kultusministerkonferenz führte Karin Wolff (CDU) nach Athen. 48 Bildungsminister debattierten dort Ende vergangenen Jahres darüber, dass Schule vor wie nach Pisa nicht nur Lesen, Schreiben, Rechnen vermitteln soll. Im vereinten Europa, so der Tenor, gehörten Kinder noch mit etwas ganz anderem ausgestattet: mit interkulturellen Kompetenzen, die sie auf das Leben in der immer unübersichtlicher werdenden Welt vorbereiteten. „Bildungseinrichtungen“, gab die hessische Kultusministerin Wolff in Athen zu Protokoll, seien „hervorragende Orte, in fremde Kulturen und ihre Eigenarten einzuführen und diese zu verstehen“.

Das mag fortschrittlich klingen, ist aber nichts anderes als fast schon traditionelle Position der Kultusminister. Die sonst eher träge KMK hat erkannt, dass Kinder interkulturellen Unterricht und keine deutsch-deutsche Selbstbespiegelung benötigen – und zwar völlig unabhängig davon, wie viele Ausländer, Aussiedler oder Kinder nichtdeutscher Herkunft in der Klasse sitzen. Interkulturelle Bildung, sagen die Kultusminister, „richtet sich sowohl an die Angehörigen der Majorität als auch an diejenigen der Minorität“ und muss integraler Bestandteil jeden Unterrichts sein. Um das zu erreichen, rät die KMK den Ländern, sämtliche Lehrpläne zu überprüfen, entsprechende Handreichungen zu erarbeiten und die Listen der Schulbücher durchzusehen. Wo all das steht? In einem Beschluss der Kultusminister zur „Interkulturellen Bildung und Erziehung“. Das Datum der Veröffentlichung: 25. 10. 1996.

Das von der Bundesregierung ins Leben gerufene Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) wollte nun wissen, was aus den hehren Zielen in den einzelnen Bundesländern geworden ist, und hat eine Umfrage zur Interkulturalität an deutschen Schulen gestartet. Sämtliche Bildungsministerien, aber auch die Lehrerfortbildungsinstitute wurden gebeten, aufzulisten, was das Land in Sachen interkulturelle Erziehung geleistet hat. Wurde die Empfehlung umgesetzt, wenn ja, dann wie? Wurden die Lehrpläne überarbeitet? Gibt es ein fächerübergreifendes Konzept oder nur einen jährlichen Projekttag „gegen rechts“? Gibt es Möglichkeiten zur Lehrerfortbildung? Spielt Interkulturalität in der Ausbildung von Lehrern eine Rolle?

Rühmliche Vorschriften

Die Ergebnisse könnten kaum unterschiedlicher sein. In einigen Ländern – allen voran Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein – hat sich die Verwaltung auf höchster Ebene tatsächlich seit 1996 darangesetzt, interkulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe zu installieren. In Brandenburg ist „Interkulturelles“ als „übergreifender Themenkomplex“ im Schulgesetz verankert und damit – zumindest auf dem Papier – integriertes Unterrichtsziel an jeder einzelnen Schule. In Hamburg ist „kulturelle und soziale Heterogenität“ seit neuestem Bestandteil der Lehrerausbildung. Jeder Lehramtsstudent soll künftig unabhängig von seiner Fächerkombination mit Interkulturalität als „prioritärem Thema“ zu tun bekommen. In Schleswig-Holstein wurde interkulturelle Bildung vom Kultusministerium 1997 zum festen Bestandteil des „Konzepts der Grundbildung für alle“ erkoren. Die ein oder andere rühmliche Verwaltungsvorschrift findet sich auch in Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.

Anderswo sieht es mau aus. In Baden-Württemberg rühmt sich das Kultusministerium auf Anfrage zwar, Kinder „selbstverständlich“ interkulturell zu unterrichten – kann dann aber lediglich auf das Stichwort „Ausländerpädagogik“ in einigen Lehrplänen verweisen. In Bayern versteht das Staatsministerium für Unterricht und Kultus unter interkulturellem Lernen nach eigener Aussage die Bündelung der „gesellschaftlichen Kräfte zur Abwehr fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Tendenzen“ und verweist auf ein paar Streitschlichter-Projekte und Anti-Gewalt-Trainings. Lehrer, die sich in Bayern interkulturell fortbilden wollen, können das nur, indem sie sich für Kurse zum Unterricht mit „Aussiedler“- oder „Ausländer“-Kindern anmelden. Das rheinland-pfälzische Ministerium gab zur Antwort, das Land pflege ein eng geknüpftes Netzes an Schulpartnerschaften, vor allem mit Schulen in Frankreich und Großbritannien. Aus dem Saarland hieß es schlicht, da müsse ein Missverständnis vorliegen: Bundesländer seien gar nicht verpflichtet, KMK-Empfehlungen explizit umzusetzen.

Grundsätzlich gilt: In den neuen Ländern wird interkulturelle Erziehung immer noch häufig als Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus verstanden; in den alten hingegen häufig als Unterricht für oder mit Ausländern interpretiert. „Dass interkultureller Unterricht etwas für Ausländer ist, ist ein Missverständnis, das sich hartnäckig hält“, resümiert Sanem Kleff, eine der Initiatorinnen der Umfrage und GEW-Beauftragte für Interkulturelles. Tatsächlich, sagt Kleff, sei interkulturelle Bildung das, was die KMK schon 1996 formulierte: ein Konzept, das sich an alle richten und in jedem Fach präsent sein müsse. Kleff: „Interkulturelle Öffnung ist eine Mainstreaming-Aufgabe und darf sich nicht in ein paar Wandertagen zu den türkischen Nachbarn erschöpfen.“ Zusammenfassend sei sie von den Erkenntnissen des Bündnisses für Toleranz aber „positiv wie negativ“ überrascht: Im Kleinen gäbe es innovative Konzepte an Schulen, durchdachte Fortbildungsprogramme für Lehrer oder intelligente Lehrpläne. Aber, so sagt Sanem Kleff: „Von Gesamtkonzept keine Spur.“ JEANNETTE GODDAR

Die Ergebnisse der Umfrage des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz“ sind unter www.buendnis-toleranz.de dokumentiert

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