: Das Land frisst die Stadt
In US-Horrorfilmen haben Stadtmenschen, die es in die Provinz verschlägt, meist nichts zu lachen. Doch das Bild vom Kulturkampf, das sich hinter diesem Szenario verbirgt, steckt voller Widersprüche
von SVEN VON REDEN
Was unterscheidet den US-amerikanischen Provinzbewohner vom Städter? Er macht alles mit Motorkraft. „Wir segeln; sie fahren Motorboot. Wir machen Langlauf; sie haben ein Snowmobil. Wir wandern; sie fahren Geländewagen. Wir machen Weinbergtouren; sie besuchen Traktorrennen. Für die Gartenarbeit haben sie fahrbare Rasenmäher und wir illegale Einwanderer.“
Das Zitat stammt aus einem Artikel von David Brooks, auch in Deutschland bekannt geworden als Erfinder und Chronist der „bourgeois bohemians“, kurz „Bobos“. Brooks fragt sich im Atlantic Monthly, ob die bei der letzten Präsidentschaftswahl offen zu Tage getretene politische und kulturelle Spaltung der USA bedeute, dass das Land in zwei Nationen zerfallen sei, oder ob es sich lediglich um Risse in einem weiterhin vereinigten Ganzen handele. Das war im Dezember 2001, drei Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon. Es verwundert kaum, dass Brooks in dieser Phase nationaler Solidarität zu dem Ergebnis kam, die US-Gesellschaft sei eins.
Ein Krieg und einige Skandale später. Es ist wieder Wahlkampf, und die Risse sind zum Graben geworden. Das „blaue Amerika“ und das „rote Amerika“ stehen sich 2004 feindlich gegenüber – blau waren die Staaten auf den Landkarten der Fernsehstationen gekennzeichnet, die bei der Wahl im Jahr 2000 an Gore gingen, rot die Staaten, die Bush für sich gewinnen konnte. Geografisch gesprochen trennt der Graben die Küstenregionen mit ihren Großstädten von den ländlichen Regionen des Mittleren Westens und Südens. Kulturell gesprochen steht das gottesfürchtige, familiensinnige, konservative gegen das säkulare, individualistische und libertäre Amerika.
Diesen Eindruck erhält man zumindest, wenn man die Pamphlete von Demagogen wie Bill O'Reilly, Dick Morris, Sean Hannity, Ann Coulter (in der roten Ecke), Michael Moore, Molly Ivins, Al Franken (in der blauen Ecke) liest, die die Sachbücher-Bestsellerlisten des Landes seit Monaten bevölkern. Selbst namhafte Intellektuelle schrecken nicht davor zurück, die gegenwärtige Situation mit der Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg zu vergleichen. Eher wie Beschwörungen klangen daher auch die Presseberichte, die das gute Abschneiden des gemäßigten Demokraten John Kerry vergangene Woche bei den Nominierungsvorwahlen in Iowa als Zeichen deuteten, dass Amerika wieder zur Mäßigung zurückgefunden hat.
Auf noch extremere Art und kaum metaphorisch verschleiert treibt dieser Kulturkampf auch im Film seltsame Blüten. Da, wo schon immer gesellschaftliche Spannungen radikaler gelöst werden konnten als in der Realität: im Horrorfilm und Thriller.
Im vergangenen Jahr kamen gleich ein halbes Dutzend Filme in die US-Kinos, die immer nach gleichem Muster ablaufen: Eine Gruppe Städter verschlägt es in dünn besiedelte Gegenden der Südstaaten oder nach Texas, um dort bestialisch von Einheimischen abgemetzelt zu werden. Filme wie „Wrong Turn“, „Cabin Fever“ oder „Haus der 1000 Leichen“, der heute in Deutschland startet, sind in erster Linie Futter für das Genrepublikum.
Aber auch der renommierte Regisseur Mike Figgis („Leaving Las Vegas“) lieferte mit „Cold Creek Manor“ (Deutschlandstart am 12. 2.) eine Variation des Themas ab, in dem Sharon Stone und Dennis Quaid die Hauptrollen spielen. Am erfolgreichsten mit über 80 Millionen Dollar Einspielergebnis war aber das von Blockbuster-Regisseur Michael Bay („Pearl Harbor“) produzierte Remake von Tobe Hoopers Horrorklassiker „Texas Chainsaw Massacre“ (1973). Schon der Titel verweist darauf, mit welchem Werkzeug hier eine Gruppe ahnungsloser Jugendlicher auf dem Weg zu einem Rockkonzert zerstückelt wird: Der Städter tötet mit der Schusswaffe, der Landbewohner metzelt mit Motorkraft.
Das „blaue“ Hollywood galt dem roten Amerika immer schon als Sündenpfuhl und Verderber der Jugend. Nun scheint es, als räche sich die Filmindustrie, indem sie Hillbillys und Rednecks zu tumben Tötungsmaschinen mutieren lässt. In „Wrong Turn“, „Texas Chainsaw Massacre“ und „Haus der 1000 Leichen“ wird zudem das Heiligtum des frommen Amerikas, die Familie, als degenerierte Mördertruppe dargestellt – der urbane Serienkiller ist Einzeltäter, in der Provinz wird in Familienbanden getötet. Die Gegensätze zwischen Stadt und Land werden in diesen Filmen bis zur Groteske überzogen: Vegetarismus gegen Kannibalismus, freie Liebe gegen Inzest, Bildung gegen Debilität, Funsport gegen Jagdinstinkt.
Was aber am meisten verstört, ist die Absolutheit des Bösen. Waren in den klassischen Horrorfilmen der Dreißigerjahre die Monster noch das eigentliche emotionale Zentrum der Filme – von King Kong bis hin zu Frankensteins unglücklicher Kreatur –, wird bei den Hillbilly-Horrorfilmen den Killern jegliche Sympathie verweigert. Das rote Amerika wirft dem blauen Amerika gerne moralischen Relativismus vor. Hier gibt es jedoch keine Grauzone, das Böse ist absolut.
Die aktuellen Filme knüpfen also nicht an die Klassiker des Genres an. Aber auch mit den ironischen, postmodernen Slasherfilmen der zweiten Hälfte der Neunziger haben sie wenig gemein. Sie beziehen sich viel mehr direkt auf die erste Welle von Hillbilly-Horror aus den Siebzigerjahren – das Remake von „Texas Chainsaw Massacre“ ist hierfür nur das offensichtlichste Beispiel.
In einem Vorläufer des Subgenres, Herschel Gordon Lewis’ „2000 Maniacs“ von 1964 (der gerade als „2001 Maniacs“ neu verfilmt wird), ging es noch um alte Wunden des Amerikanischen Bürgerkriegs: Zwei Autos mit Yankees werden in eine Südstaatenkleinstadt umgeleitet. Angeblich sollen die Nordstaatler Ehrengäste für ein Dorffest sein. Stattdessen werden sie zum 100. Jahrestag der Verwüstung des Ortes durch marodierende Unionssoldaten vom gesamten Dorf in nagelbewehrten Fässern zu Tode gerollt, von Pferden zerrissen und zum Barbecue verspeist. In den Hillbilly-Horrorfilmen der Siebzigerjahre fehlt selbst eine vage Rechtfertigung der Bluttaten: Es reicht, dass die Opfer „Stadtpinkel“ sind – so bezeichnen in der deutschen Synchronisation von John Boormans „Deliverance“ (1972) die Hillbillys eine Gruppe Wochenendausflügler aus Atlanta, bevor sie einen der Städter vergewaltigen. Und in Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ reicht es, dass die Jugendlichen durch ihre Blümchenhemden, John-Lennon-Brillen und ihre Vorliebe für Sternzeichen als Hippies erkennbar sind: Das macht sie bereits zu sicheren Opfern des kettensägeschwingenden Leatherface und seiner Schlachterfamilie.
Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass dieses Horror-Subgenre der frühen Siebzigerjahre heute wiederbelebt wird. War nicht damals die US-amerikanische Gesellschaft entlang ähnlicher Linien gespalten – in der Haltung gegenüber dem Vietnamkrieg, gegenüber dem Ende der Rassentrennung, gegenüber der Frauenemanzipation und Rockmusik? Die damaligen Horrorfilme werden von der Filmwissenschaft und -kritik längst als Ausdruck der Friktionen in der amerikanischen Gesellschaft gedeutet. Den aktuellen Filmen wird diese Nobilitierung bislang verwehrt.
In ihrer Titelgeschichte „The Return of Real Horror“ vom letzten Dezember beklagt etwa das britische Filmmagazin Sight and Sound „den Tod von ‚Bedeutung‘ im amerikanischen Slasherfilm“. Neben dem üblichen Kulturpessimismus, der hier anklingt, mag das auch daran liegen, dass urbane Filmkritiker nicht unbedingt mit dem roten Amerika sympathisieren (würden die debilen Killer der Filme durch Afroamerikaner oder Angehörige anderer Minderheiten ersetzt, wäre ein Skandal sicher).
Das Original von „Texas Chainsaw Massacre“ mag dem Remake zwar an Originalität überlegen sein, es verbreitet (obwohl es nur einen Bruchteils des Budgets verschlungen haben dürfte) weitaus mehr Horror. Auch die anderen aktuellen Filme haben nicht das Zeug zum Klassiker. Am Subtext hat sich allerdings wenig geändert. Dieser erschöpft sich nicht in einer Stigmatisierung der Landbevölkerung als ungebildet, ungepflegt und unheimlich. Das debile Landei ist im Hillbilly-Horrorfilm „das Andere“, das es zu überwinden gilt. Das heißt aber nicht, dass der Städter per se ein Ausbund an Tugend wäre. Die Reihenfolge der Tötungen zeigt klare Moralvorstellungen, die eher dem roten Amerika zugeordnet würden: Zunächst trifft es die Sexualisierten und Drogennutzer, danach kommen die Intellektuellen und Weicheier. Das tugendhafte Durchschnittsmädchen oder -paar kann am Ende zwar das Böse überwinden, aber erst nachdem es sich ihm selbst ein Stück weit angeglichen hat. Gnade oder Gesetz gibt es nicht mehr. Es herrscht alttestamentarische Rachsucht.
„Manchmal muss man sich erst mal verirren, um etwas zu finden“, sagt Burt Reynolds in „Deliverance“. Die Protagonisten der Hillbilly-Horrorfilme verirren sich und finden durch die Imitation des Gegners zurück. Ein bekannter Topos auch im Western oder Science-Fiction, der aber nie so radikal und nah an Gegenwart und Gesellschaft verhandelt wird wie hier. Im Western geht es um die Durchsetzung des demokratischen Rechtsstaats gegen das Recht des Stärkeren, letztlich werden also Interessenkonflikte verhandelt. Im Hillbilly-Horror geht es nur um die Vernichtung des Bösen. Das Böse kommt auch im Science-Fiction vor. Aber es entspringt nicht der Gesellschaft, sondern greift von außen an.
Die Hillbilly-Horrorfilme senden ein widersprüchliches Bild vom Zustand der amerikanischen Gesellschaft: Auf der einen Seite scheint – symbolisiert durch das entmenschlichte Monster – die Entfremdung zwischen blauem und rotem Amerika total. Auf der anderen Seite tun diese Filme alles, um nicht in den Ruch zu kommen, „Auswüchse“ des Liberalismus wie Promiskuität oder Drogengebrauch zu unterstützen. Auch wenn es etwa in West Virginia zu Protesten gegen die Darstellung des Staates und seiner Bewohner in dem Film „Wrong Turn“ kam: Die Moral der meisten Hillbilly-Filme deutet darauf hin, dass der Graben zwischen rotem und blauem Amerika kleiner ist, als die Polemik vermuten lässt.
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