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Archiv-Artikel

Packesel der Nation

„Zustelllöcher“ und „Abbrüche“: BriefträgerInnen aus ganz Deutschland kamen zum Protest nach Bremen

Bremerhaven-Wulsdorf ist das, was man heutzutage postalisch als „Zustellloch“ bezeichnen muss. Eine Anwältin, die dort ihre Kanzlei hat, berichtet: „Wir haben hier Wochen, in den nur zwei Mal die Post kommt.“ Wie wenig Wulsdorf ein Einzelfall ist, bestätigte gestern die Protestkundgebung der Postler auf der Bürgerweide.

630 Betriebsräte und 200 „normale“ BriefträgerInnen verwiesen dort auf „katastrophale Arbeitsbedingungen“, die zu immer mehr „Zustellungsabbrüchen“ führten: Zum Nicht-Austragen der Post, weil die BriefträgerInnen ihren „immer größer werdenden Touren“ nicht mehr gewachsen seien. In der Niederlassung „Brief Bremen“ sollen sich 300.000 Überstunden angehäuft haben, was dem Jahresarbeitsumfang von 150 Vollzeitstellen entspräche. Bundesweit sollen es sechs Millionen erzwungene Überstunden sein.

„Sie produzieren eine Generation von Frührentnern und Kranken“, ruft ein Bremer Belegschaftsvertreter in Richtung von Frank Appel, dem Vorstandsvorsitzenden der Post AG. Ein doppelsinniger Vorwurf: Das Unternehmen hatte Kundenbeschwerden stets mit dem Hinweis quittiert, Grippewellen seien für die Nichtzustellungen verantwortlich. Die Aussage von erbosten Bremer Kunden, mehrere Tage keine Post bekommen zu haben, wurde als „Wahrnehmungsfehler“ bezeichnet.

Die „Ausrede mit den Einzelfällen“ sei bundesweit zu hören, sagt Andrea Kocsis, stellvertretende Ver.di-Bundesvorsitzende. Derweil kommen auf die Briefträger weitere Lasten zu: Die Zustellung von Katalogen soll vom Paket- auf den Briefdienst verlagert werden. Das sind laut Kocsis bis zu 100 Kilo Zusatzlast, die die AusträgerInnen unter nochmals gesteigertem Zeitdruck auf ihren Fahrrädern zu transportieren hätten.

Besonders „perfide“ findet Kocsis, dass der Post-Vorstand nun mit der Ankündigung an die Presse gehe, 1.000 neue Stellen zu schaffen. Dabei handele es sich lediglich um die Weihnachtsaushilfen, die ohnehin jedes Jahr zusätzlich engagiert würden, um das Saisongeschäft zu bewältigen. Henning Bleyl