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Archiv-Artikel

dichtung & sperrmüll von JOACHIM FRISCH

Selten war der Geist ferner als in diesen Zeiten. Doch will ich nicht die zwölftausendste Klage über die Logodiarrhöe in Fernseh und Politik anstimmen. Dieter, Costa und Joschka verschwinden mit einem leichten Druck des Daumens auf die Fernbedienung aus unserer Welt – geschenkt. Schlimmer ist der Geistesschwund im Alltag, aus dem es kein Entrinnen gibt. Dem Handwerker im eigenen Haus etwa entkommt man nicht, wenn er flanscht und flext, schweißt und schwitzt, lötet, lärmt und labert, bis einem die Ohren abfallen mögen.

Dabei war der Handwerker einst die Hoffnung des Geistesmenschen auf Versöhnung von Theorie und Praxis. Bewundert hat der Geistesmensch ihn für seine Bodenständigkeit, sein Geschick, beneidet um das Ergebnis seiner Arbeit, den Schrank, die Mauer, den Fluss des Wassers aus dem Hahn – gediegen, sichtbar, nützlich. Diese Bewunderung beruhte nie auf Gegenseitigkeit. Ignoranz und Verachtung waren die Antwort auf intellektuelle Annäherungsversuche. Der Handwerker braucht eine Flex, keine Reflexion.

Kürzlich hat er sich bei mir einquartiert und Hand angelegt. Er hat gut gearbeitet, der Handwerker, keine Frage, er hat die Bruchbude in neuem Glanz erstrahlen lassen. Dafür sei ihm gedankt. Staub und Schmutz waren erträglich, selbst der Lärm, vergleichbar mit den Düsen eines Airbusses beim Start, war wohltuend im Vergleich zu den Pausen, wenn der Handwerker sein Werkzeug fallen ließ und das Mundwerk in Gang setzte. Einmal erzählte er vom Sperrmüll. Da packen die Menschen allerhand mehr oder weniger Brauchbares vor die Haustür, auf dass der Sperrmülllaster es abfahre oder der Trödler den Kram mitnehme und auf dem Flohmarkt feilhalte. Der Handwerker aber mochte nicht ertragen, dass ein Taugenichts und Tagedieb, eventuell gar ein Pole, aus seinem einst teuer erstandenen Hausrat Kapital schlage. So ließ er seinen halbwüchsigen Sohn den Trödelhaufen bewachen, derweil er einen Fuchsschwanz aus dem Keller holte, um dem versammelten ausgedienten Kuschelgetier und schließlich dem hölzernen Schaukelpferd die Köpfe wegzusäbeln. Dies erzählte der Handwerker nicht ohne Stolz auf sein Massaker, doch gänzlich ohne Selbstzweifel.

Die nächste Pause widmete der Handwerker der Intelligenz. Professoren, die den Akkuschrauber rückwärts eingestellt haben, Schriftsteller, die ohne Schleifpapier schleifen. Was hat er sich amüsiert über die intellektuellen Deppen, der Handwerker. Ein Konter war undenkbar. Geschichten über Trockenbauer, die Hegel mit Schopenhauer verwechseln, dürften ihn kaum erheitern, ebenso solche über Klempner, die Dialektik für eine Mundart halten. Der Geist hat keine Chance gegen den lernresistenten Ungeist, das Prinzip Hoffnung ist allein eine Phrase der Fußballreporter geworden.

So dachte ich, bis der Kleinlaster neben mir anhielt, dem ein Klempner im Blaumann entstieg, Rohrzange und Zollstock in den Taschen. „Dichtung und Wahrheit“ stand auf der Hintertür des Lieferwagens. So ist’s recht. Beschwingt entführte mein Geist den Körper ins Wirtshaus, damit beide darauf einen höben: dass der Hahn der Hoffnung noch immer tröpfelt.