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Archiv-Artikel

strafplanet erde: buchstaben im tornister von DIETRICH ZUR NEDDEN

Das Leben außerhalb geschlossener Anstalten macht nicht erst dieser Tage keinen entscheidend anderen Eindruck als das Krankheitsbild der meisten Patienten drinnen. Das ist selbstverständlich eine rein subjektive Assoziation und soll keineswegs eine Renaissance der Anti-Psychiatrie einleiten oder im Gegenteil sie denunzieren, sondern ist einfach so dahingesagt. Es quatschen ja eine Menge Leute drauflos, da will man nicht in den Verdacht geraten, unberührt, desinteressiert oder etwa urteilsschwach zu sein.

Eine andere Möglichkeit: Regression. Das aktuell aparteste Infantilitätssaccessoir sind diese praktischen Flaschen mit Ventil-Sauger. Drin ist ein Fitnessgetränk oder ehrliches Wasser. Wo immer man sich aufhält und einem danach ist, lässt sich gemütlich nuckeln. Auf jemandem, der einem das Fläschchen oder gar die Brust reicht, ist man nicht angewiesen. Ein echter Vorteil des Erwachsenenalters.

„Eine Lobotomie später“ im Wohnzimmer: „vater komm erzähl vom krieg“, bettelt ein Kind, versehentlich die erste Zeile eines Jandl-Gedichts zitierend. Aber der Mann will nicht und hat, ohne es zu merken, sowieso nicht den blassesten Schimmer einer leisen Ahnung. Er schaut ins Fernseh, schaltet um und um. Ein Laufband teilt mit, dass B 52-Bomber vom britischen Stützpunkt Halifax Richtung Irak gestartet sind. In ungefähr sechs Stunden sollen sie ihr Ziel erreicht haben. Schafft er bis dahin den Wochenendeinkauf?, rechnet der das Weltgeschehen natürlich kritisch verfolgende Mann. Und den Wagen auftanken? Benzin wird bald teurer. Auf jeden Fall wird er rechtzeitig zu den Einschlägen live zurück sein.

Erst mal wieder hin und her knipsen. Je nach Sender differieren die Sticker am Bildrand: „Krieg gegen Saddam“ nennt n-tv eher intim einen Vornamen, CNN dagegen plakatiert ein bisschen sportlicher „Strike on Iraq“, das ZDF meint, es sei ein „Krieg am Golf“, N24 und N3 sind sich einig, dass es sich um einen „Krieg im Irak“ handelt, Bloomberg dagegen wählt „Krieg gegen Irak“. What a difference ein paar Buchstaben make, bröselt’s in seinem Kopf. Rettung von Super RTL, wo „Käpt’n Balou“ läuft: „Trau niemals einer Seifenblase, die du nicht selbst geblasen hast“, rät er seinem Kollegen. Stimmt, es fehlt der Blick in die Bild-Zeitung, wo die Ein-Herz-für-Kinder-Tränen fließen. Ein Kasten-mit-Foto verspricht: „Prof. Dr. Guido Knopp erklärt den Krieg“. Aber wem? Macht er eine zweite Front auf? Welche Truppen stehen ihm zur Verfügung? Ein Tip für den „Top-Historiker“ (Bild): Im Tornister sollten unbedingt die Referenzbücher stecken, die man in den letzten Tagen gereicht bekam: Thukydides, Clausewitz, Carl Schmitt.

Eine weitere Lobotomie später fragt sich ein anderer Mann, ob ihn seine Erinnerung trügt oder ob sich die Berichterstattung diesmal tatsächlich „kritischer“ gibt, dem ähnlicher wird, was man gemeinhin „kritische Berichterstattung“ nennt, als neulich die vom Kosovo-Krieg. Das werden dann verlässlich die Medienexperten prüfen. Machen sie schon? Verflixt, wieder nicht aufgepasst.

Komm, erzähl vom Krieg. Nö.