kommentar : In Bochum zeigen sich die Sozialdemokraten erleichtert – aber nicht optimistisch
Gerhard Schröder und Franz Müntefering könnten mit dem Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD zufrieden sein. Auf den ersten Blick hat die neue Arbeitsteilung funktioniert, den Stimmungstest im wichtigsten Landesverband haben sie bestanden: Beide erhielten bei ihren Auftritten stehenden Beifall – gerade für Schröder ein selten gewordenes Erlebnis.
Doch ein Signal des Aufbruchs, des Optimismus geht nicht von Bochum aus. Die Delegierten beschränkten sich auf die Erleichterung, wieder einen Parteichef zu bekommen, der die Politik der Bundesregierung im Parteijargon darstellen kann. Mit anderen Worten: Die Basis brauchte jemanden, der den Zweifelnden den Selbstbetrug ermöglicht, zu glauben, dass die Berliner Reformpolitik noch die sozialdemokratischen Grundüberzeugungen ausdrückt – und den hat sie mit Müntefering bekommen.
Der andere Strohhalm ist die Rückbesinnung auf die alte sozialdemokratische Tugend der Geschlossenheit. Bloß kein Streit mehr, so die trügerische Hoffnung gerade der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, deren hervorstechendste Eigenart schon immer das Parteisoldatentum war. Auf dem Parteitag beschwor das Führungspersonal die gute alte Zeit, in der die Sozialdemokraten immer geschlossen auf der richtigen Seite standen, immer die notwendigen Entscheidungen trafen und allen Wirrnissen und Bedrängungen widerstanden. Doch was Mut machen sollte, zeigte das ganze Elend – wie schlecht muss es der Partei gehen, wenn es zur Motivationsförderung der geschichtlichen Rückgriffe bis in die Kaiser- und Hitlerzeit bedarf.
Schröder und Müntefering sollten sich nicht täuschen. Gerade der Jubel der Delegierten bei der Beschwörung der 140-jährigen Parteitradition weist auf die Krise hin, in der sich die SPD an Rhein und Ruhr befindet, weil die Gegenwart so trostlos ist, die Austrittswelle kein Ende hat und an den großen Stimmungsumschwung kaum mehr jemand glauben mag. Das war in Bochum besonders gut bei den vielen Delegierten zu beobachten, deren Schicksal unmittelbar vom Ergebnis der Kommunalwahlen im September abhängt: Oberbürgermeisterkandidaten, Landratsbewerber, Anwärter auf oder Inhaber von Vorstandsposten bei den Stadtwerken an Rhein und Ruhr. Eher noch als die Land- oder Bundestagswahlen strahlen die lokalen Wahlen in die Partei hinein. Dabei dauert es nun auch nur noch 15 Monate bis zur Landtagswahl in NRW. Strohhalme werden da nicht helfen – sondern nur noch Wunder. PASCAL BEUCKER